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Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag

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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> 12. Wahlperiode Drucksache 12/7560<br />

Problem<br />

der Bela<br />

stungsku<br />

mulation<br />

Sucht als<br />

Symptom<br />

einer Erkrankung<br />

sen zweierlei hervor: Zum einen scheint es, daß<br />

der Drogenkonsum aus der Sicht der Konsumenten<br />

durchaus problemlösende Qualitäten<br />

aufweist, daß er also mit einem subjektiven<br />

Nutzen verbunden ist. Dieser kann ganz unterschiedliche<br />

Formen annehmen: Bewältigung<br />

bzw. Verdrängung depressiver Stimmungslagen,<br />

Erhöhung des Selbstwertgefühls, sozialer<br />

Protest, Anerkennung durch Gleichaltrige, Konformität<br />

zu einem subkulturellen Lebensstil<br />

usw. Welcher Art der subjektive Nutzen ist,<br />

hängt zweitens vom sozialen Kontext des Drogengefährdeten<br />

ab: von den kulturellen Leitbildern<br />

und Konsumpraktiken seiner Bezugsgruppen<br />

sowie der Bedeutung dieser Bezugsgruppen<br />

selbst. Spielt die Familie hier eine große<br />

Rolle, so kann der Nutzen des Drogenkonsums<br />

auch darin bestehen, daß es dadurch gelingt, die<br />

Aufmerksamkeit der Familienmitglieder auf<br />

sich zu lenken und fürsorgliches Verhalten hervorzurufen,<br />

das nicht genügend erfahren<br />

-<br />

wurde. Der Drogenkonsum verhindert dann<br />

jedoch gerade das, worauf es ankäme, nämlich<br />

selbständig und unabhängig zu werden. „Der<br />

Drogenmißbrauch ist in diesen Fällen eine paradoxe<br />

Lösung des Konfliktes zwischen Bindung<br />

und Ablösung." (Textor 1989, S. 19)<br />

Der Familie kommt also offensichtlich erhebliche<br />

Bedeutung zu:<br />

— für die Wahrscheinlichkeit des Auftretens<br />

von Drogengebrauch überhaupt;<br />

— für die Wahrscheinlichkeit, daß sich der<br />

Gebrauch bestimmter Drogen habitualisiert;<br />

— für die Wahrscheinlichkeit, daß schwerwiegendes<br />

Suchtverhalten (mit in der Regel<br />

gleichzeitigem Konsum mehrerer Drogen<br />

oder auch häufigem Wechsel der Drogen)<br />

sich im Sinne krankhafter Abhängigkeiten<br />

verfestigt.<br />

Dennoch wäre es verfehlt, die Familienmitglieder,<br />

insbesondere die Eltern, pauschal für das<br />

Suchtverhalten ihrer Kinder verantwortlich zu<br />

machen. Wir müssen vielmehr davon ausgehen,<br />

daß bestimmte gesellschaftliche Bedingungen<br />

der Unterprivilegierung, aber auch individuelle,<br />

biographische Faktoren und insbesondere<br />

das Zusammenkommen mehrerer ungünstiger<br />

Faktoren jene Belastungssituationen erzeugen,<br />

in denen der familiäre Zusammenhang überlastet<br />

wird und seinen Sozialisations- wie auch<br />

Unterstützungsaufgaben nicht mehr genügend<br />

gerecht werden kann. Bei welchem Familienmitglied<br />

dann Symptome auftreten, und ob sie<br />

die Form einer Sucht und erst recht welcher<br />

Sucht annehmen, läßt sich nicht allgemein prognostizieren.<br />

2.4 Suchttherapie und Suchtprävention<br />

Im folgenden kann nicht die Problematik der<br />

Suchtprävention und Suchttherapie in ihrer<br />

ganzen Breite dargestellt, sondern nur die spe<br />

zifische Bedeutung der Familie in diesem Zusammenhang<br />

herausgearbeitet werden. Während<br />

die ältere, ausschließlich medizinische<br />

Betrachtung von Süchten die Bedeutung der<br />

abhängig machenden Suchtstoffe für den<br />

menschlichen Organismus in den Vordergrund<br />

stellte und daher vor allem die Behinderungen<br />

des Zugangs zu als Sucht ,erzeugend' angesehenen<br />

Stoffen, gesundheitliche Aufklärung und<br />

die ,Entwöhnung' von derartigen Stoffen empfahl,<br />

betonen die gegenwärtig vordringenden<br />

psychologischen und soziologischen Erklärungsansätze,<br />

daß Prävention und Therapie sich<br />

weniger auf das Verhältnis zu spezifischen<br />

Suchtmitteln als auf die Disposition zu süchtigem<br />

Verhalten und ihre Entstehungsbedingungen<br />

zu konzentrieren haben. Dieser Auffassung<br />

zufolge sind konkrete Süchte eher das Symptom<br />

einer Erkrankung als die Krankheit selbst. Aufklärungsaktionen<br />

über die Schädlichkeit bestimmter<br />

Verhaltensweisen haben sich als bemerkenswert<br />

unwirksam erwiesen, wie z. B. der<br />

hohe Raucheranteil bei den medizinischen und<br />

paramedizinischen Berufen zeigt (v.Troschke<br />

1993, S. 159ff). Die Vorstellung, daß bestimmte<br />

Stoffe Sucht erzeugen ist auch deshalb zu einfach,<br />

weil sich zeigt, daß nur ein (allerdings je<br />

nach Substanz unterschiedlicher) Bruchteil der<br />

Personen, die psychotrope Substanzen zu sich<br />

genommen haben, von ihnen anhängig werden.<br />

Viele scheinbar erfolgreiche Entwöhnungsbehandlungen<br />

zeigen zudem ihre Grenze dort, wo<br />

der Patient wieder in seine alten Verhältnisse<br />

zurückkehrt und rückfällig wird. In dieser<br />

erweiterten Perspektive der Suchtgenese, welche<br />

die persönlichen Voraussetzungen und die<br />

Lebensverhältnisse der Suchtkranken ins Zentrum<br />

der Erklärung stellt, kommt den familialen<br />

Verhältnissen eine erhebliche, in manchen Therapierichtungen<br />

sogar zentrale Bedeutung zu.<br />

Zum ersten ist festzuhalten, daß intakte Familienverhältnisse<br />

und ein angemessenes, d. h.<br />

weder zu permissives noch zu rigides Erziehungsverhalten<br />

der Eltern, das den Kindern<br />

eine Orientierung in der Erziehungssituation<br />

und eigenes Handeln ermöglicht, zu den wirksamsten<br />

Schutzfaktoren gegen das Entstehen<br />

süchtiger Dispositionen gehört. Forschungen<br />

zur sog. Invulnerabilität oder ,Resilience' von<br />

Jugendlichen zeigen, daß die Fähigkeit stark<br />

problembelasteter Jugendlicher, mit ihren Problem<br />

fertig zu werden, zum einem von persönlichen<br />

Eigenschaften wie Selbstwertgefühl, Intelligenz,<br />

Selbstvertrauen und Temperament<br />

abhängen, andererseits aber auch von stabilen<br />

emotionalen Beziehungen zu wenigstens einem<br />

Elternteil, einem unterstützenden Erziehungsklima<br />

und dem elterlichen Vorbild im Umgang<br />

mit Problemen, sowie von sozialer Unterstützung<br />

durch weitere Personen (Lösel u. a. 1990;<br />

Lösel u. Biesener 1990). Politische Maßnahmen<br />

der Familienförderung sind daher auch ein<br />

wirksames Element einer ,Verhältnisprävention'<br />

mit Bezug auf Suchterkrankungen.<br />

Bedeutung<br />

intakter<br />

Fa<br />

milienver<br />

hältnisse<br />

und persönlicher<br />

Eigenschaften

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