Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag
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Drucksache 12/7560<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode<br />
Anforderungen<br />
an<br />
die Eltern<br />
Familiale<br />
Hausauf<br />
gabenbe<br />
treuung<br />
lien in den neuen Bundesländern spitzt sich das<br />
Problem aufgrund der Veränderungen der<br />
Gesamtbedingungen noch besonders zu.<br />
4.2 Strukturelle Veränderungen des<br />
Familienalltags in der Kinder- und<br />
Jugendphase<br />
Auch für die Phase des Schuh und Jugendalters<br />
gilt, daß die Leistungsanforderungen an die<br />
Eltern während der vergangenen 25 bis 30<br />
Jahren und zwar in allen sozialen Schichten<br />
gestiegen sind: einerseits der zeitliche Betreuungsumfang,<br />
zum anderen auch die ökonomischen<br />
Aufwendungen, die Eltern ihren Kindern<br />
heute vielfach bis ins junge Erwachsenenalter<br />
gewähren bzw. auch formal-rechtlich gewähren<br />
müssen.<br />
Der zeitgeschichtlich gestiegene Betreuungsumfang<br />
im Kindes- und frühen Jugendalter<br />
ergibt sich aus dem Tatbestand, daß die Schule<br />
Funktionen an die Familie zurückverlagert hat,<br />
und zwar in Form der Hausaufgabenbetreuung.<br />
Bereits 1972 betonte Pross, daß die Mütter sehr<br />
viel mehr als ihre eigenen Mütter heutzutage<br />
sich als Hauslehrerinnen für die Kinder betätigen<br />
und die Nachhilfe bieten müssen, die die<br />
Schule z. Zt. ihnen nicht zu bieten vermag,<br />
obwohl sie selbst nicht gelernt haben, wie man<br />
ihnen nachkommen kann. Daraus erwüchse<br />
eine doppelte Schwierigkeit: „Sind Frauen in<br />
der Lage, den neuen Anforderungen zu genügen,<br />
dann bedeutet das einen gegenüber dem<br />
traditionellen beträchtlichen Zusatzaufwand an<br />
Zeit und Energie für die Familienfunktion. Sind<br />
sie der neuen Aufgabe nicht gewachsen, dann<br />
fehlt ihnen die Sachautorität in der Familie und<br />
dadurch die Möglichkeit, sich durch sachliche<br />
Kompetenz gegenüber den Jugendlichen zu<br />
behaupten. Besonders benachteiligt sind die<br />
Frauen der Unterschichten, deren Kinder mehr<br />
lernen als sie selber lernen konnten" (1972,<br />
S. 72). Diese Situation hat sich — wie Ergebnisse<br />
aus anderen empirischen Untersuchungen, z. B.<br />
von Enders-Dragässer (1980), Paetzold (1988),<br />
zeigen — während der letzten 20 Jahre noch<br />
verschärft, da inzwischen die Bildungsaspirationen<br />
bei allen Eltern — also nunmehr unabhängig<br />
von der sozialen Schicht und von ihrem<br />
eigenen Schulausbildungsniveau — gestiegen<br />
sind (Hofer 1992, S. 189). Sie legen damit auf die<br />
schulischen Leistungen ihrer Kinder verstärkt<br />
Wert und akzeptieren auch die Verantwortung<br />
der Familie für die Hausaufgaben (Pettinger<br />
1988, S. 308). Meistens hilft übrigens die Mutter.<br />
Berufstätige Mütter unterscheiden sich nicht<br />
von Hausfrauen im Umfang ihrer Hausaufgabenhilfe.<br />
Väter ziehen sich weitgehend aus dem<br />
Hausaufgabengeschäft zurück. Oswald u. a.<br />
(1988) berichten, daß selbst noch 53 % der<br />
befragten Eltern von 15jährigen angaben, ihren<br />
Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen. Dieses<br />
hohe elterliche Engagement bedeutet aber<br />
auch eine erhebliche psychische Belastung für<br />
beide Seiten: für die Mütter und die Kinder. In<br />
der Befragung von Paetzold (1988) gaben die<br />
Mütter von Erstklässlern an, daß Hausaufgaben<br />
eine primäre Quelle für Ärger sind. Es überwiegen<br />
dabei emotionale Reaktionen der Mütter,<br />
vor allem im verbalen Bereich (Schimpfen,<br />
Schreien, Ermahnen, Verbieten).<br />
Der bei Jugendlichen auf allen Ebenen des<br />
Bildungsniveaus heutzutage vorfindbare<br />
„Schulstress", der häufig sogar zur Einnahme<br />
von Psychopharmaka führt, ist nicht zuletzt auch<br />
darauf zurückzuführen, daß eine einseitige<br />
Anpassung des Elternhauses — und zwar nunmehr<br />
aller sozialen Schichten — an die Erziehungsziele<br />
des Bildungssystems erfolgte. Noch<br />
vor 20 Jahren nahmen viele Eltern zu diesem<br />
eine kompensierende Haltung ein oder standen<br />
den Leistungsanforderungen durch die Lehrer<br />
und Lehrerinnen — vor allem in den unteren<br />
sozialen Schichten — eher „teilnahmslos"<br />
gegenüber, weil „Begabt-" oder „Nicht-<br />
Begabt-Sein" als „naturgegebenes" Schicksal<br />
definiert wurde.<br />
Diese gewandelte elterliche Einstellung zur<br />
Schulleistung ihrer Kinder bedeutet jedoch<br />
nicht, daß deshalb die Ergebnisse der schichtenspezifischen<br />
Sozialisationsforschung keine Gültigkeit<br />
mehr besitzen würden. Noch immer<br />
messen empirische Untersuchungen einen Zusammenhang<br />
zwischen sozialer Herkunft der<br />
Eltern (vor allem gemessen an ihrem Ausbildungsniveau<br />
und der Berufsposition) und dem<br />
erreichten Bildungsniveau der Kinder, wenn<br />
auch — vor allem aufgrund des allgemeinen<br />
Anstiegs an Absolventen bzw. Absolventinnen<br />
höherer Bildungsabschlüsse von einer gewissen<br />
Lockerung dieses zuvor sehr strikten Verweisungszusammenhanges<br />
gesprochen werden<br />
kann (vgl. Bertram 1991, S. 247; Steinkamp<br />
1991, S. 251 ff.). Hierauf wird noch ausführlicher<br />
in Kapitel IX.3 dieses Berichtes eingegangen.<br />
Die Erwartungen an die Unterstützung der Kinder<br />
durch die Eltern haben im übrigen gerade in<br />
jenem Zeitraum zugenommen, in dem die „Leistungen"<br />
der Kinder für den Familienbereich<br />
abgenommen haben, jedenfalls was die Mithilfe<br />
bei hauswirtschaftlichen Tätigkeiten anbetrifft.<br />
Rechtlich gesehen müssen zwar die Kinder<br />
Gegenleistungen erbringen. In § 1619 BGB<br />
heißt es: „Das Kind ist, solange es dem elterlichen<br />
Hausstand angehört und von den Eltern<br />
erzogen oder unterhalten wird, verpflichtet, in<br />
einer seinen Kräften und seiner Lebensstellung<br />
entsprechenden Weise den Eltern in ihrem<br />
Hauswesen und Geschäft Dienste zu leisten. "<br />
Die Wirklichkeit sieht jedoch entgegen dem<br />
§ 1619 BGB anders aus. Wie die Shell-Studie<br />
von 1992 zeigt, räumt heutzutage nach ihren<br />
eigenen Angaben, die Hälfte der 18- bis 24jährigen<br />
in den alten und 40 % in den neuen<br />
Bundesländern nicht einmal ihr eigenes Zimmer<br />
auf. Hier ist zweifellos ein zeitgeschichtlicher<br />
-<br />
Elterliche<br />
Einstellung<br />
zur<br />
Schulleistung<br />
ihrer<br />
Kinder<br />
Mithilfe<br />
der Kinder<br />
im<br />
Haushalt