Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode Drucksache 12/7560<br />
Kinder als auch zwischen Ehepaaren mit unterschiedlich<br />
hohen Einkommen.<br />
5. Familie und Erwerbsarbeit<br />
(Seite 146-187; 275--284)<br />
In marktwirtschaftlichen Systemen ist Erwerbstätigkeit<br />
die Grundlage für die Entstehung des Familieneinkommens.<br />
Erwerbstätigkeit wird somit zu einem<br />
Kernpunkt des Lebensentwurfs von Frauen und Männern.<br />
Aus diesem Grund verlangt die Verfassung und<br />
Sozialgesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland<br />
für die wirtschaftliche Aktivität die Schaffung von<br />
Rahmenbedingungen, die den Schutz und die Förderung<br />
der Familie umfassen. In der Sicht der <strong>Familienbericht</strong>skommission<br />
wird damit dem für den Wirtschaftsprozeß<br />
konstitutiven Tatbestand Rechnung<br />
getragen, daß die in Familien und Bildungsinstitutionen<br />
aufgebauten Humanvermögen mit den in Unternehmen<br />
(als Produktionsstätten) bereitgestellten<br />
Sach- oder (realen) Produktivvermögen zu kombinieren<br />
sind, um eine kostengünstige und zugleich<br />
bedarfsgerechte Versorgung einer Volkswirtschaft<br />
mit Gütern und Dienstleistungen zu erreichen.<br />
Diese Verknüpfung macht auf die wechselseitige<br />
Abhängigkeit von Human- und Sachvermögen aufmerksam<br />
und läßt die Bedeutung der Familie für die<br />
Wirtschaftsentwicklung ebenso sichtbar werden wie<br />
den Einfluß der Wirtschaftsentwicklung auf die Lage<br />
der Familien.<br />
Unter diesem Aspekt wird die Situation auf dem<br />
Arbeitsmarkt zu einem zentralen Tatbestand für eine<br />
Familienpolitik, die sich für die konkrete Lebenslage<br />
von Familien interessiert. Das gilt einerseits für die<br />
Betroffenheit von Familien durch Ein- und Ausgliederungsprozesse<br />
ihrer Mitglieder auf dem Arbeitsmarkt.<br />
Hier muß gewährleistet sein, daß Einkommen verbleiben,<br />
die die Erfüllung der familialen Funktionen für<br />
die Gesellschaft nicht nur möglich machen (und<br />
honorieren), sondern auch dazu ermutigen. Nicht<br />
zuletzt aus dieser Funktionserfüllung erwächst andererseits<br />
die Befähigung und Bereitschaft, sich permanent<br />
den durch technischen Fortschritt notwendig<br />
werdenden Qualifikationsanpassungen zu stellen und<br />
sie kreativ, in freier Entscheidung zu bewältigen.<br />
Dieses grundsätzlich sowohl familial als auch wirtschaftlich<br />
zu lösende Problem erhält ein verstärktes<br />
Gewicht, wenn sich Arbeitslosigkeit in der Gesellschaft<br />
ausbreitet. Das gilt gegenwärtig bereits für<br />
Westdeutschland, aber in einem sehr viel gravierenderen<br />
Ausmaß für Ostdeutschland.<br />
Die Menschen in den neuen Bundesländern müssen<br />
trotz aller ermutigenden Ansätze in Teilbereichen der<br />
Wirtschaft auch in Zukunft mit einem hohen Grad an<br />
Erwerbslosigkeit rechnen. Wenn nicht die registrierte<br />
Erwerbslosigkeit zum Maßstab genommen wird, sondern<br />
das tatsächliche Ausmaß an Unterbeschäftigung,<br />
das durch die Zahl der Erwerbslosen und derjenigen,<br />
die in den Bereich der kompensatorischen arbeitsmarktpolitischen<br />
Maßnahmen einbezogen sind, erfaßt<br />
wird, ergeben sich Prozentzahlen der Unterbeschäftigung<br />
von 34 % bis 43 % (April 1992). Insbesondere<br />
für Frauen erfolgt eine im Vergleich zu<br />
den Männern übergroße Abdrängung vom Erwerbsarbeitsmarkt.<br />
Unter den Erwerbslosen steigt zudem<br />
die Zahl der Langzeitarbeitslosen; hier sind wiederum<br />
die Frauen überproportional be troffen. Damit wird die<br />
Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern zum<br />
familienpolitischen Problem Nummer eins.<br />
Familienpolitisch bedeutsam ist das Phänomen der<br />
Arbeitslosigkeit nicht allein infolge der Einbußen in<br />
den Familieneinkommen; es tangiert und verändert<br />
darüber hinaus tiefgreifend die Verhaltensmuster in<br />
den Familien. Zur Bewältigung von Arbeitslosigkeit<br />
sind Fähigkeiten erforderlich, die sowohl zu besonderer<br />
Fürsorgebereitschaft für die Arbeitslosen als auch<br />
bei den Arbeitslosen zu einem hohen Maß an Bemühungen<br />
zur Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß<br />
„qualifizieren". Kompetenzen für eine Analyse<br />
der Arbeitsmarktsituation und für die Arbeitsplatzsuche<br />
konnten jedoch die Menschen in den neuen<br />
Bundesländern im Sozialisationsprozeß der realsozialistischen<br />
Gesellschaft nicht ausbilden. Damit<br />
wächst die Gefahr, daß sich dort in vielen von Arbeitslosigkeit<br />
betroffenen Familien Resignation und Apathie<br />
ausbreitet — mit all den zu erwartenden negativen<br />
Konsequenzen für den Prozeß der Angleichung<br />
der Lebensbedingungen in Ost und West.<br />
Die gegenwärtig deutlich auszumachenden Belastungen<br />
der Menschen in den neuen Bundesländern durch<br />
die kritische Arbeitsmarktlage trifft vor allem (junge)<br />
Frauen und führt zu Hoffnungsverlusten im Hinblick<br />
auf die Gestaltung ihrer Lebenspläne, die in einem<br />
Nebeneinander von Familie und Erwerbsleben keinen<br />
Widerspruch sehen. Ihre Ausgliederung aus dem<br />
Erwerbsleben vollzieht sich gegenläufig zu einer<br />
Perspektive gesellschaftlicher Arbeit, die die Bedeutung<br />
des Frauenerwerbspotentials immer höher einschätzt<br />
— nicht allein wegen des gestiegenen Bildungsniveaus<br />
von Frauen, sondern auch wegen der<br />
Entwicklung der Bevölkerungsstruktur. Hinzu<br />
kommt, daß die in der Gesellschaft zunehmend verankerte<br />
Forderung nach Gleichberechtigung von<br />
Müttern und Frauen im Bereich der Erwerbsarbeit<br />
Einlösung verlangt. Für die Familienpolitik werden<br />
die Postulate Wahlfreiheit zwischen Familientätigkeit<br />
und Erwerbstätigkeit sowie Vereinbarkeit von<br />
Erwerbstätigkeit und Familientätigkeit immer verbindlicher.<br />
Damit entsteht ein familienpolitischer<br />
Handlungsbedarf, der nicht nur den Staat und Gesetzgeber<br />
fordert, sondern zudem Unternehmen und<br />
Gewerkschaften — nicht zuletzt in ihrer Rolle als<br />
Tarifpartner und als Träger eines gesellschaftlichen<br />
Innovations- und Modernisierungsprozesses.<br />
Es ist ein zwingendes Gebot der sozialen Gerechtigkeit,<br />
eine Ausgliederung der Erwerbsarbeit anstrebenden<br />
Mütter und Väter aus dem Beschäftigungssystem<br />
zu verhindern. Dazu muß eine Umverteilung der<br />
gesamtwirtschaftlich benötigten Arbeitszeiten erfolgen,<br />
die zugleich die Bedeutung des sog. „Normalarbeitsverhältnisses"<br />
massiv relativiert. Vor allem<br />
hoffen Mütter und Väter auf ein Mehr an Zeitsouveränität,<br />
d. h. auf Arbeitszeitregelungen, die ihren<br />
Wünschen nach Vereinbarkeit von Familientätigkeit<br />
und Erwerbstätigkeit entgegenkommen. Hier muß in<br />
allen Beschäftigung gewährenden Ebenen die Suche<br />
nach konsensfähigen Arbeitszeitmodellen ansetzen,