Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode Drucksache 12/7560<br />
XII. Schutz und Förderung der Familie als politischer Auftrag<br />
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Familien<br />
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Bedeutung<br />
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die Gesellschaft<br />
Familiales<br />
Engagement<br />
nicht<br />
selbstverständlich<br />
Der vorliegende Bericht hat unter anderem drei<br />
Einsichten erbracht, die nach Meinung der<br />
Kommission für die Beurteilung der Lage der<br />
Familien im vereinten Deutschland und für die<br />
Ausgestaltung der Familienpolitik grundlegende<br />
Bedeutung haben:<br />
1. Die Anforderungen an die Familien als<br />
Lebens- und Solidargemeinschaften und die<br />
ökonomischen Belastungen der Familien<br />
waren in unserem Kulturkreis zu keiner Zeit<br />
so groß wie heute. Die Erwartungen an die<br />
Pflege-, Förder- und Erziehungsleistungen<br />
der Familien sind höher als früher. Gleichzeitig<br />
sind die Aufwendungen, die mit<br />
der Erbringung dieser Leistungen verbunden<br />
sind, gestiegen. Personen, die Familientätigkeit<br />
übernehmen, werden im Vergleich<br />
zu denjenigen, die das nicht tun, gesellschaftlich<br />
und wirtschaftlich zunehmend<br />
benachteiligt. Die Kinderkosten sind<br />
privatisiert, die Erträge, die die nachwachsenden<br />
Generationen erwirtschaften, sind<br />
sozialisiert.<br />
2. Gleichzeitig ist die Bedeutung der Familien<br />
in der Gegenwart gestiegen, weil die Funktionen<br />
der Familien für die Gesellschaft wichtiger<br />
geworden sind. Dies gilt insbesondere<br />
für den Beitrag der Familien zur Sicherung<br />
und Bildung von Humanvermögen und für<br />
ihre Funktion, das für soziale Gruppen jeder<br />
Größe unverzichtbare Solidaritätspotential<br />
zu entwickeln und zu sichern. Da moderne<br />
Gesellschaften ihre Leistungsfähigkeit einerseits<br />
großräumigen, hochorganisierten und<br />
damit tendenziell anonymen Austauschbeziehungen<br />
verdanken, sind die unter ihren<br />
Bedingungen lebenden Menschen für ihr<br />
eigenes Wohlergehen und für die Entwicklung<br />
der erforderlichen Daseinskompetenzen<br />
andererseits auf komplementäre gemeinschaftliche<br />
Sozialbeziehungen angewiesen,<br />
als deren verbreitetste und alltäglichste<br />
Form Familien gelten können.<br />
3. Junge Menschen, die vor der biographischen<br />
Entscheidung stehen, ob sie eine Familie<br />
gründen wollen oder nicht, denken selbstverständlich<br />
nicht in den hier skizzierten<br />
größeren Zusammenhängen, aber sie erfahren<br />
— insbesondere durch die Beobachtung<br />
in ihrem Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis<br />
—, ob und inwieweit Familie lebbar<br />
ist oder nicht. Häufig steht die Entscheidung<br />
für Kinder in Konkurrenz zu anderen biographischen<br />
Entscheidungen, insbesondere hinsichtlich<br />
des Berufes, aber auch hinsichtlich<br />
der Konsum- und Freizeitmöglichkeiten.<br />
Massenmedien und Werbung suggerieren<br />
andere Prioritäten als die der Familie. Familiales<br />
Engagement muß sozusagen gegen<br />
den Strom der öffentlichen Meinung und der<br />
-<br />
dominierenden „ Selbstverwirklichungsangebote<br />
" entwickelt und behauptet werden.<br />
Familienpolitik wird unter diesen Bedingungen<br />
zu einem zentralen Feld der Gesellschaftspolitik,<br />
denn die Bedingungen, unter denen Familien<br />
sich entwickeln können, sind von politischen<br />
Vorgaben in erheblichem Maße mit<br />
abhängig. Aber auch Familienpolitik muß sozusagen<br />
gegen den Strom erkämpft werden. Trotz<br />
aller Bemühungen zahlreicher familienpolitisch<br />
engagierter Persönlichkeiten in Politik und Verwaltung<br />
rangiert Familienpolitik in den hinteren<br />
Rängen der politischen Prioritätenskala.<br />
Während die Anforderungen an die Familien<br />
steigen und die ökonomischen Belastungen<br />
relativ größer werden, sinkt der Anteil der<br />
Aufwendungen für die Familien am Volkseinkommen.<br />
Das ist im wesentlichen darauf<br />
zurückzuführen, daß die meisten Leistungen für<br />
Familien im Gegensatz zu den übrigen Sozialleistungen<br />
nicht mit der Lohnentwicklung verkoppelt<br />
sind, sondern ihre Erhöhung stets<br />
erneut politisch erkämpft werden muß. Familienpolitik<br />
ist — wie der Bericht erkennbar<br />
gemacht hat — Stückwerk geblieben und wurde<br />
den in Kapitel XI. 1 formulierten Anforderungen<br />
an eine zielorientierte Familienpolitik nicht<br />
gerecht. Ihr fehlt ein annähernd vollständiges,<br />
der Interdependenz der Politikbereiche Rechnung<br />
tragendes und konsequent verfolgtes<br />
Konzept. Darüber hinaus sind die bisher eingesetzten<br />
Mittel zum Teil ineffizient, so vor allem<br />
die steuerlichen Entlastungen, die die Bessergestellten<br />
noch besser stellen; zum Teil sind sie<br />
unzulänglich, wie etwa die Zahl und die<br />
Betriebszeiten der Kinderbetreuungseinrichtungen.<br />
Ein wesentliches Fazit dieses Berichts lautet<br />
daher: Der in Artikel 6 Grundgesetz formulierte<br />
politische Auftrag, die Familie zu schützen<br />
und zu fördern, ist bisher nicht hinreichend erfüllt.<br />
Der Familienpolitik sollte in unserer wirtschaftlich<br />
entwickelten, sozialstaatlich orientierten<br />
Gesellschaften höchste Priorität eingeräumt<br />
werden. Denn diese Gesellschaft ist dadurch<br />
gekennzeichnet, daß sie ihren Bürgerinnen und<br />
Bürgern vielfältige Chancen und wachsende<br />
Handlungsspielräume zur persönlich bestimmten<br />
Lebensgestaltung gewähren möchte. Dieses<br />
Ziel kann nur erreicht werden, wenn durch die<br />
Familienpolitik<br />
als<br />
zentrales<br />
Feld der<br />
Gesell<br />
schafts<br />
politik