27.02.2014 Aufrufe

Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag

Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag

Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode Drucksache 12/7560<br />

Komple<br />

xere Ge<br />

sell<br />

schafts<br />

struktur<br />

Multikul<br />

turelle<br />

Gesell<br />

schaft und<br />

Fremden<br />

angst<br />

Neue so<br />

ziale Be<br />

wegungen<br />

und Ge<br />

walt<br />

Kurzoder<br />

lang<br />

fristige<br />

Verände<br />

rungen?<br />

lien, soziale Sicherheiten und mehr frei zu<br />

disponierende Zeiten gewachsen, wodurch<br />

sich die Handlungsspielräume und Optionen<br />

erweitern. Diese verlangen jedoch mehr Entscheidungsbereitschaft<br />

und -kompetenzen<br />

im Alltag. Letztere können heute fast nur<br />

durch Alltagserfahrungen erworben werden,<br />

deren Bedeutung kurzlebig ist, was zu Verunsicherung,<br />

Ängsten und Gefühlen der<br />

Hilflosigkeit und Überforderung führen<br />

kann.<br />

2. Die durch traditionelle soziale Gruppierungen<br />

in Berufsgruppen geprägten Verhaltensnormen<br />

werden durch vielfache Zwischenund<br />

Übergangsformen in den erwerbswirtschaftlichen<br />

Positionen bestimmt, welche die<br />

Frage aufwerfen, ob unsere Gesellschaft eine<br />

„nivellierte", eine sich weiter „differenzierende"<br />

oder gar eine Zwei-Drittel-Gesellschaft<br />

ist. Die Orientierung an „sozialen<br />

Schichten", „Ständen" oder „Klassen" genügt<br />

nicht mehr. Die soziale Integration oder<br />

auch Desintegration von Personen, Familien<br />

und Gruppierungen sowie ihre Vernetzungen<br />

haben vielfältige Gründe in den strukturellen<br />

Ausdifferenzierungen der Lebensbereiche<br />

moderner Gesellschaften.<br />

3. Auch die traditionellen Lebensformen, die<br />

durch konfessionelle und landsmannschaftliche<br />

Zugehörigkeiten geprägt werden, verändern<br />

sich in ihrer Bedeutsamkeit durch die<br />

soziale und räumliche Mobilität der Menschen,<br />

durch den Umgang der Einheimischen<br />

mit den Zugezogenen, durch Tourismus<br />

und durch die sich in den Gemeinden<br />

ansiedelnden Gastarbeiterfamilien, die Umund<br />

Aussiedler/innen und neuerdings die<br />

Asylanten und Alsylantinnen. Spannungen<br />

sind unverkennbar. Multikulturelles Zusammenleben<br />

und/oder Integration und Assimilation<br />

des Fremden lassen sich weder anordnen<br />

noch nur in der Schule lernen. Sie<br />

müssen positiv gelebt und erlebt werden,<br />

und zwar vornehmlich im Alltag. Die Art und<br />

Weise der Vermittlung dieses Zusammenlebens<br />

über die Sozialisationsinstanzen prägt<br />

vor allem die Kinder. Das Denk- und Handlungsmuster<br />

der Kleinfamilie mit „abgeschlossener<br />

Wohnungstür und Gartenzaun"<br />

kann zu Ängsten vor fremder Nachbarschaft<br />

und Begegnung mit Fremden führen.<br />

4. Hinzu kommen neue soziale Bewegungen,<br />

neue Subkulturen, vor allem von Jugendlichen<br />

ausprobiert, und neue parteipolitische<br />

Gruppierungen, welche mehr oder minder<br />

aggressiv Aufmerksamkeit erzwingen und/<br />

oder auf gesellschaftliche Umorientierungen<br />

drängen. Eine Desintegration dieser Gruppierungen<br />

führt zu Gewaltpotentialen, die<br />

Angst machen und Gegengewalt herausfordern<br />

können.<br />

5. Viele dieser sozial-kulturellen Veränderungen<br />

dürften sozialstrukturelle Ursachen und<br />

Wirkungen haben, andere können „ modi<br />

che " Bewegungen sein und so schnell verschwinden,<br />

wie sie aufgetreten sind. Dieses<br />

voneinander zu unterscheiden, ist für die<br />

politische Bewe rtung des Wandels des Alltagslebens<br />

in Familien- und Privathaushalten<br />

von allergrößter Bedeutung.<br />

6. Schließlich zeigt sich immer deutlicher, daß<br />

nicht nur die sozio-ökonomische Lebenssituation,<br />

sondern in gleicher Weise oder auch<br />

verstärkt das sozio-kulturelle Gemeinschaftsleben<br />

und Zugehörigkeitsgefühl ganz<br />

wesentlich zu Verschiedenheiten bzw. zu<br />

wachsender Fremdheit von Gruppierungen<br />

untereinander (fundamentale Strömungen)<br />

auch in unserer Gesellschaft führen kann.<br />

Für die neuen Bundesländer gilt, daß sich der<br />

Wandel der Sozialstrukturen, der sich in den<br />

alten Bundesländern seit den 70er Jahren mit<br />

zunehmendem materiellen Wohlstand verknüpft,<br />

kontinuierlich entwickelte, als eine Art<br />

„dominantes Kulturmuster" und bedeutsamer<br />

„Modernisierungsschritt" mit nicht in Frage zu<br />

stellender Qualität darstellt und binnen kürzester<br />

Zeit zu übernehmen ist. Die Lebens- und<br />

Alltagserfahrungen der Menschen und Familien<br />

aus 40 Jahren DDR werden ohne Rücksicht<br />

auf das Selbstverständnis der DDR-Bürgerinnen<br />

und Bürger entwertet, allerdings unterschiedlich<br />

für Männer und Frauen. Frau Kurz-Scherf,<br />

Staatssekretärin in Brandenburg, spricht von<br />

einer westlichen „Landnahme" und korrespondierend<br />

dazu von östlichen „ Selbstblockaden"<br />

und „Selbstauflösungen" (Kurz-Scherf, I./Mezger,<br />

E./Winkler, G.,1992, S. 42).<br />

Es ist im Rahmen dieses Berichtsabschnittes<br />

unmöglich, auf die Vielfalt der Ergebnisse von<br />

quantitativen und qualitativen Sozialstrukturanalysen,<br />

verknüpft mit Lebensverläufen und<br />

Familienstrukturen, einzugehen. Es soll aber<br />

der Versuch unternommen werden, jene Veränderungen<br />

beschreibend hervorzuheben, welche<br />

eine besondere familien- und frauenpolitische<br />

Relevanz haben dürften.<br />

Die folgende Darstellung von besonderen Veränderungen<br />

in den Leistungs- und Belastungssituationen<br />

von Familien in den alten und neuen<br />

Bundesländern orientiert sich folglich an drei zu<br />

unterscheidenden Diskussionsebenen:<br />

— den historischen Zeitereignissen, welche<br />

den Wandel im Familienalltag deutlich<br />

beeinflußten, die jedoch in den alten und<br />

neuen Bundesländern unterschiedlich zu<br />

kennzeichnen sind;<br />

— den Wirkungen dieser Ereignisse auf die<br />

unterschiedlichen Alterskohorten und Familienzyklusphasen<br />

in West- und Ostdeutschland;<br />

— sowie auf die unterschiedlichen Lebensverläufe<br />

von Männern und Frauen, insbesondere<br />

aber von Müttern und Vätern, die sich<br />

ebenfalls in Ost- und Westdeutschland<br />

unterscheiden.<br />

Fremdheit<br />

zwischen<br />

Kulturen<br />

-s<br />

Dominanz<br />

des westlichen<br />

Kulturmusters

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!