Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag
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Drucksache 12/7560<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode<br />
auf die Notwendigkeit hin, über Zeitstrukturen der<br />
Arbeitswelt einerseits und des familiären Zusammenlebens<br />
andererseits nachzudenken.<br />
Die Bundesregierung ist wie die Kommission der<br />
Auffassung, daß die Gesellschaft einer grundlegenden<br />
Umorientierung hin zu mehr Familienfreundlichkeit<br />
bedarf. In unserer freiheitlichen Gesellschaft<br />
kann allerdings eine solche grundlegende Umorientierung<br />
nicht angeordnet werden, sondern erfordert<br />
einen breiten Konsens aller gesellschaftlichen Kräfte.<br />
Die Bundesregierung ist entschlossen, ihren Teil zu<br />
einer solchen Umorientierung beizutragen; sie wird<br />
entschieden um den erforderlichen Konsens in unserer<br />
Gesellschaft werben.<br />
In dem Bericht wird der Versuch unternommen, die<br />
Leistungen der Familien bei der Sorge um die nachwachsende<br />
Generation als Geldwert zu berechnen.<br />
Der in dem Bericht errechnete Be trag von 15 Billionen<br />
DM gibt zwar einen Hinweis auf die gewaltige Dimension<br />
der familialen Leistungen; seine Berechnung und<br />
die dieser Berechnung zugrundegelegten Annahmen<br />
macht sich die Bundesregierung im einzelnen nicht zu<br />
eigen. Trotzdem vermittelt der Bericht einen Eindruck<br />
von der Dimension der Leistungen, die Familien mit<br />
Kindererziehung und Versorgung alter und kranker<br />
Menschen in der Gesellschaft kostenlos erbringen. Im<br />
Statistischen Bundesamt werden z.Zt. im Auftrag der<br />
Bundesregierung Überlegungen angestellt, wie mit<br />
Hilfe einer Zeitbudgeterhebung in einem Satellitensystem<br />
zur Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung<br />
diese unentgeltlich in Haushalt und Familie erbrachten<br />
Leistungen sichtbar gemacht werden können;<br />
denn nicht zuletzt auch von diesen Leistungen hängt<br />
das Wohlergehen unserer Gesellschaft ab,<br />
Ein besonderes Anliegen der Bundesregierung ist, die<br />
im <strong>Familienbericht</strong> thematisierten strukturellen Rücksichtslosigkeiten<br />
gegenüber Familien abzubauen,<br />
diese besser bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu<br />
unterstützen und jungen Menschen die Entscheidung<br />
für Familie und für ein Leben mit Kindern zu erleichtern.<br />
Die gesellschaftlich unverzichtbare Leistung der<br />
Familie darf nicht länger als selbstverständlich<br />
betrachtet werden. Auch wenn verfassungsgemäß die<br />
Privatheit der Familie garantiert und vor staatlichen<br />
Eingriffen geschützt ist, darf sich daraus keine Gleichgültigkeit<br />
gegenüber Belangen der Familie herleiten.<br />
Dem vorliegenden <strong>Familienbericht</strong> ist es gelungen,<br />
nachdrücklich und schlüssig den weit über die eigene<br />
materielle Daseinsvorsorge hinausgehenden Beitrag<br />
der Familie für die Gesellschaft insgesamt herauszuarbeiten<br />
und Ansatzpunkte zu geben, wie den Familien<br />
im Interesse a ller ihre Aufgabe erleichtert werden<br />
kann.<br />
2. Familie im Wandel<br />
2.1 Entwicklung der Haushalts- und<br />
Familienstrukturen<br />
Die moderne Gesellschaft mit ihrer Komplexität und<br />
ihrer funktionalen Differenzierung ist ständigen wirtschaftlichen,<br />
sozialen und kulturellen Wandlungsprozessen<br />
unterworfen. Familien reagieren auf diese<br />
Veränderungen; ihr Gefüge und ihre Funktion spiegeln<br />
die Veränderungen der Gesellschaft insgesamt.<br />
In Deutschland ist ebenso wie in anderen europäischen<br />
Ländern eine Pluralisierung der Haushalts- und<br />
Familienformen zu beobachten. Als neue Lebensformen<br />
werden vor allem die Lebensformen angesehen,<br />
die von der auf einer Ehe beruhenden Gemeinschaft<br />
von Eltern und ihren Kindern abweichen, insbesondere<br />
Einpersonenhaushalte, nichteheliche Lebensgemeinschaften,<br />
Alleinerziehende und Stieffamilien.<br />
Anders als in den meisten Nachbarländern werden<br />
diese Formen in Deutschland, wenn Kinder vorhanden<br />
sind, jedoch nicht als Alternative zu Ehe und<br />
Familie gesehen.<br />
In den neuen Ländern ist die Pluralisierung der<br />
familialen Lebensformen aufgrund der anderen<br />
gesellschaftlichen Verhältnisse, insbesondere der<br />
gezielten Geburtenförderung anders verlaufen. So<br />
beträgt der Anteil der Einpersonenhaushalte angesichts<br />
des knappen Wohnraums lediglich 28 % gegenüber<br />
35 % in den alten Ländern, während der Anteil<br />
der Alleinerziehenden in den neuen Ländern (15 %)<br />
höher als in den alten (11 %) ist.<br />
Ehe und Familie sind in Deutschland für die Altersgruppe<br />
der 30- bis 65jährigen auch heute noch die<br />
überwiegende Lebensform. In dieser Altersgruppe<br />
sind 77,1 % der Bevölkerung verheiratet und leben mit<br />
ihrem Ehepartner oder ihrer Ehepartnerin zusammen.<br />
Die alten und die neuen Länder unterscheiden sich<br />
darin nur geringfügig, denn im früheren Bundesgebiet<br />
war dies 1991 bei 76,4 %, in den neuen Ländern<br />
bei 79,8 % der Fall. Auch in der Bewertung der Ehe als<br />
Lebensform sind sich die Deutschen einig: 87 % im<br />
Westen und 84 % im Osten halten die Ehe nach wie vor<br />
für sinnvoll. Obwohl die Zahl der Kinder bei Alleinerziehenden<br />
zugenommen hat, wachsen immer noch<br />
über 80% der Kinder in Deutschland bei ihren beiden<br />
miteinander verheirateten Eltern auf.<br />
Der Bericht analysiert den massiven Geburtenrückgang,<br />
der in den letzten 100 Jahren in allen Industrieländern<br />
zu beobachten war und der sich in mehreren<br />
Wellen vollzog. Auch in Deutschland war die Bevölkerungsentwicklung<br />
durch eine anhaltend niedrige<br />
Geburtenhäufigkeit gekennzeichnet, die wesentlich<br />
zu der jetzt nicht mehr umkehrbaren Altersstrukturveränderung<br />
beigetragen hat und seit den zwanziger<br />
Jahren nicht mehr zum Generationenersatz ausgereicht<br />
hat. In den fünfziger Jahren bis Anfang der<br />
sechziger Jahre stiegen zwar die Geburtenzahlen<br />
noch einmal vorübergehend an. Seit Mitte der 60er<br />
Jahre aber setzte im Westen ein starker Geburtenrückgang<br />
ein, und bald wurde der Bestand der Bevölkerung<br />
in beiden deutschen Staaten durch Geburten<br />
nicht mehr erhalten. Auch wenn die Bundesregierung<br />
mittelfristig von einer Angleichung des Familiengründungsverhaltens<br />
ausgeht, macht der nach dem<br />
Zusammenbruch der DDR zu beobachtende enorme<br />
Rückgang von Geburtenzahlen und Eheschließungen<br />
in den neuen Ländern ebenso wie die Halbierung der<br />
Geburtenzahlen Ende der 60er Jahre in der Bundesrepublik<br />
deutlich, daß junge Menschen in ihrem<br />
Familiengründungsverhalten außerordentlich sensibel<br />
auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren.