Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode Drucksache 12/7560<br />
XI. Aktuelle Aufgaben der Familienpolitik:<br />
Der familienpolitische Handlungsbedarf<br />
Neue An<br />
orderun<br />
gen an die<br />
Familien<br />
politik<br />
Steigende<br />
Ehe- und<br />
Kinderlo-<br />
1. Ausgangsbedingungen und<br />
Grundprobleme der Familienpolitik<br />
im vereinten Deutschland<br />
In der Konkurrenz um politische Prioritäten hat<br />
die Familienpolitik in der Bundesrepublik stets<br />
einen nachrangigen Platz eingenommen. Kindergeld<br />
und Erziehungsgeld sind im Gegensatz<br />
zu den meisten übrigen Sozialleistungen bis<br />
heute nicht dynamisiert; sie zählen vielmehr zur<br />
finanzpolitischen Manövriermasse, welche in<br />
Zeiten knapper Kassen zur Kürzung ansteht.<br />
Das unwürdige Spiel, das derzeit im Zusammenhang<br />
mit den flankierenden Maßnahmen<br />
zur Neuregelung des § 218 — insbesondere mit<br />
Bezug auf den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz<br />
— gespielt wird, verdeutlicht<br />
diese Schwäche vollends. Familien und Kinder<br />
haben keine Lobby, sie dürfen bestenfalls in<br />
Zeiten der Prosperität auf Berücksichtigung<br />
hoffen.<br />
Die <strong>Familienbericht</strong>skommission sieht es als<br />
ihre Pflicht an, darauf aufmerksam zu machen,<br />
daß eine solche Politik nicht nur ungerecht,<br />
sondern auch kurzsichtig ist und zunehmend<br />
kontraproduktiv wirkt. Sie vermag nicht jene<br />
Verläßlichkeit zu stiften, auf die es aus der Sicht<br />
der jungen Menschen ankommt, wenn sie vor<br />
der Frage stehen, inwieweit sie Elternverantwortung<br />
übernehmen sollen oder nicht. In der<br />
ganzen bisherigen Geschichte der Menschheit<br />
und auch noch in den ersten Jahrzehnten nach<br />
dem Zweiten Weltkrieg war die Übernahme von<br />
Elternverantwortung keine Frage, sondern eine<br />
Selbstverständlichkeit. Das erst im 19. Jahrhundert<br />
erkämpfte Menschenrecht auf Ehe führte in<br />
Verbindung mit der Entwicklung wirtschaftlichen<br />
Wohlstands im 20. Jahrhundert zu einer<br />
nie dagewesenen Verallgemeinerung der<br />
Eheschließung, wodurch in demographischer<br />
Hinsicht die sinkenden Kinderzahlen pro Ehe<br />
lange Zeit kompensiert wurden. Jedoch haben<br />
im Spannungsfeld zwischen den Emanzipationswünschen<br />
der Frauen und dem traditionalen<br />
Ehe- und Familienverständnis und angesichts<br />
der immer unproblematischeren Trenn-<br />
-f<br />
barkeit von Sexualität und Fortpflanzung, Ehe<br />
und Elternschaft in jüngster Zeit an Selbstverständlichkeit<br />
zunehmend verloren; sie sind zu<br />
einer Sache der invididuellen Entscheidung<br />
geworden. Das ist die grundlegend neue Herausforderung,<br />
vor der heute die Familienpolitik<br />
steht.<br />
Deshalb verdient Familienpolitik nicht nur eine<br />
höhere politische Priorität, sie bedarf ihrer viel<br />
mehr, weil sich die Umstände der Familiengrün<br />
dung in jüngster Zeit entscheidend verändert<br />
haben. Hinzu kommt, daß die mit der Übernahme<br />
von Elternverantwortung verbundene<br />
relative Benachteiligung der Eltern in den letzten<br />
Jahrzehnten spürbar zugenommen hat. Der<br />
zu beobachtende Trend einer von Geburtsjahrgang<br />
zu Geburtsjahrgang steigenden Ehe- und<br />
Kinderlosigkeit ist das verständliche Ergebnis<br />
einer wachsenden strukturellen Rücksichtslosigkeit<br />
der Gesellschaft gegenüber den Familien.<br />
Hier steht nicht nur die Hilfe für sozial<br />
Schwache und die Kompensation von Benachteiligungen<br />
an, wie sie sonst für zahlreiche<br />
sozialpolitische Maßnahmen charakteristisch<br />
ist, hier geht es vielmehr um die präventive<br />
Sicherung der Rahmenbedingungen, unter denen<br />
sich Familien und damit das Humanvermögen<br />
in der Gesellschaft allein entfalten können.<br />
Es geht nicht um diese oder jene Einzelmaßnahme<br />
allein, sondern um eine stärkere Anerkennung<br />
von Elternverantwortung und eine<br />
gezielte Verbesserung der Lebensperspektiven<br />
insbesondere für die jungen Frauen, welche es<br />
heute in ihrer überwiegenden Mehrheit verständlicherweise<br />
nicht mehr für zumutbar halten,<br />
auf ihren Beruf zugunsten der Familie zu<br />
verzichten. Hier haben sich in den vergangenen<br />
Jahrzehnten Probleme aufgestaut, für die die<br />
demographische Entwicklung — am deutlichsten<br />
zur Zeit in den neuen Bundesländern —<br />
lediglich ein Symptom darstellt.<br />
Die neuen familienpolitischen Herausforderungen<br />
werden allerdings nicht nur durch die<br />
spürbar gestiegene Benachteiligung der Eltern<br />
im Vergleich zu Kinderlosen und durch die<br />
Emanzipationsansprüche der Frauen, sondern<br />
auch durch die immer noch dominante Definitionsmacht<br />
jener Männer bestimmt, die in Politik,<br />
Wirtschaft und Wissenschaft nach wie vor<br />
die sozialen und familialen Lebensfragen als<br />
nachrangig oder gar als Bagatellsachen und<br />
Privatangelegenheiten abtun. Eine Mehrzahl<br />
dieser Männer blockiert die notwendige Familienorientierung<br />
der Gesellschaft und den Abbau<br />
der strukturellen Rücksichtslosigkeiten der gesellschaftlichen<br />
Teilsysteme. Durch das vorherrschende<br />
Kalkül der „Gewinn- und Nutzenmaximierung",<br />
das ohne Rücksicht auf den Wertehorizont<br />
einer humanen und demokratischen<br />
Gesellschaft und den sittlichen Anspruch auf<br />
„Mäßigkeit und soziale Verantwortung" praktiziert<br />
wird, wird nicht nur die Umwelt zugrunde<br />
gerichtet, es werden auch rücksichtslos Menschen<br />
ins Elend gestürzt.<br />
Aufklärung tut not, daß wirtschaftliche Effi<br />
zienz, allgemeine Wohlstandsmehrung samt<br />
sigkeit als<br />
Ergebnis<br />
der Be<br />
nachteiligung<br />
von<br />
Familien