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Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag

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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode Drucksache 12/7560<br />

Zahl der<br />

Kinderlosen<br />

steigt<br />

Herausforderung für die Politik darstellen. Alle<br />

übrigen Gesellschaftsbereiche, insbesondere<br />

jedoch Wirtschaft und Staat, sind auf die Leistungen<br />

der Familie angewiesen, dennoch tragen<br />

sie den Bedingungen eines gedeihlichen<br />

Familienlebens nicht genügend Rechnung. Sie<br />

profitieren von den familialen Leistungen, ohne<br />

sie genügend anzuerkennen.<br />

Dieser Bericht ist in einer Zeit des Übergangs<br />

von der alten zur vereinigten neuen Bundesrepublik<br />

entstanden. Er will daher die unterschiedliche<br />

Ausgangslage deutlich machen und<br />

auf einige grundlegende Fragen eingehen,<br />

deren künftige Bedeutung der Sachverständigenkommission<br />

offenkundig erscheint. Schließlich<br />

und vor allem wird versucht, konkrete<br />

Problemfelder gründlicher zu beschreiben, mit<br />

denen sich verschiedene Politikbereiche werden<br />

auseinandersetzen müssen.<br />

2. Die strukturelle Rücksichtslosigkeit<br />

der gesellschaftlichen Verhältnisse<br />

gegenüber den Familien<br />

Im Falle der neuen Bundesländer wird besonders<br />

deutlich, was in modifizierter Form auch für<br />

die alten Bundesländer gilt: Die familialen Verhältnisse<br />

werden heute von nachhaltigen ökonomischen<br />

und sozialen Veränderungen in<br />

ihrer Umwelt betroffen, welche die bisherigen<br />

Bedingungen des Familienlebens in Frage stellen.<br />

Diejenigen Personen, welche „in Familie<br />

investieren", werden im Vergleich zu denjenigen,<br />

die darauf verzichten, zunehmend benachteiligt.<br />

Familiale Existenz erscheint daher<br />

— trotz weiterhin hoher Wertschätzung von<br />

Familie — heute weniger attraktiv (sinkende<br />

Heiratsneigung), weniger stabil (steigende<br />

Scheidungsziffern) und — zum mindesten hinsichtlich<br />

der Zahl der Kinder — weniger leistungsfähig<br />

als in früheren Zeiten. Die privaten<br />

Lebensverhältnisse der nachwachsenden Generationen<br />

werden vielfältiger, und ein von<br />

Geburtsjahrgang zu Geburtsjahrgang zunehmender<br />

Teil der jungen Menschen scheint permanent<br />

kinderlos zu bleiben. Im Unterschied<br />

beispielsweise zu Skandinavien, wo auch nichteheliche<br />

Lebensgemeinschaften in hohem Umfange<br />

die Verantwortung für das Aufziehen von<br />

Kindern übernehmen und geringe Rechtsfolgen<br />

an den Eheschluß geknüpft werden, deutet sich<br />

für die Bundesrepublik ein Entwicklungsmuster<br />

an, demzufolge sich die Bevölkerung in zwei<br />

Gruppen polarisiert, nämlich einerseits diejenigen,<br />

welche eine Familie gründen und im<br />

Zusammenhang mit der Ankunft von Kindern<br />

im Regelfalle auch heiraten, und andererseits<br />

diejenigen, die auf Kinder und zunehmend auch<br />

auf den Eheschluß verzichten und freiere Formen<br />

des Zusammenlebens — oder auch Alleinlebens<br />

— freiwillig oder notgedrungen wählen.<br />

Für diese offenkundigen Veränderungen werden<br />

sehr unterschiedliche Erklärungen angeboten<br />

(vgl. Kapitel IV.3). An dieser Stelle sei<br />

lediglich derjenige Gesichtspunkt hervorgehoben,<br />

der die nachfolgenden Überlegungen der<br />

<strong>Familienbericht</strong>skommission nachhaltig beeinflußt<br />

hat: Aus der unbezweifelten Errungenschaft<br />

der Anerkennung aller Menschen als<br />

grundsätzlich freie und gleiche Individuen<br />

resultiert in der Praxis unserer gesellschaftlichen<br />

Verhältnisse, daß im Regelfalle die Menschen<br />

als isolierte Individuen behandelt werden<br />

und es keinen Unterschied macht, ob diese<br />

Menschen familiale Aufgaben übernehmen<br />

oder nicht. Familienleben gilt als Tatsache, die<br />

in den übrigen Gesellschaftsbereichen keine<br />

Rolle spielt. Am grundlegendsten wird dies am<br />

leistungsbezogenen Individuallohn sichtbar,<br />

der keine familienbezogene Bedarfskomponente<br />

kennt. Aber auch staatliche Rechte und<br />

Pflichten nehmen auf den Unterschied, ob Menschen<br />

eine Verantwortung als Eltern und Erzieher<br />

oder als Kinder gegenüber ihren pflegebedürftigen<br />

Eltern bzw. anderen Verwandten<br />

übernehmen, im Regelfalle keine Rücksicht.<br />

Eine typische Ausnahme bildet etwa der alleinerziehende<br />

Vater, der von der Pflicht zum Wehrdienst<br />

freigestellt wird. Die öffentlichen Dienste<br />

des Bildungs- und Gesundheitswesens orientieren<br />

sich ebenfalls an Individuen, für die sie<br />

unmittelbare Leistungen erbringen, ohne Rücksicht<br />

auf deren familiäre Verhältnisse. Schulen<br />

oder Kindergärten nehmen in der Gestaltung<br />

ihrer Zeiten keine Rücksicht auf den Zeithaushalt<br />

der Eltern; Krankheiten werden lediglich<br />

am Individuum behandelt, ohne Rücksicht auf<br />

ihre möglicherweise familiäre Verursachung;<br />

die Verkehrsverhältnisse werden so gestaltet,<br />

daß sich Kinder in ihnen nicht ohne den Schutz<br />

Erwachsener bewegen können. Und überhaupt<br />

sind die öffentlichen Verhältnisse heute zunehmend<br />

so angelegt, daß Kinder und ältere Menschen<br />

von der Welt der aktiven Erwachsenen<br />

ausgeschlossen und auf spezifische Sonderumwelten<br />

wie Schulen, Spielplätze, Altersheime<br />

oder spezifische Freizeitangebote verwiesen<br />

werden.<br />

In diesem Zusammenhang ist häufig von „Kinderfeindlichkeit"<br />

unserer Gesellschaft die Rede,<br />

aber dem widerspricht die weit größere Sorgfalt<br />

und Aufmerksamkeit, welche heute Kindern<br />

und Heranwachsenden von seiten derjenigen<br />

im Regelfalle zugewendet wird, die sich tatsächlich<br />

um sie kümmern. Familien erbringen<br />

ebenso wie die öffentlichen Dienste für Kinder<br />

heute im Regelfall weit intensivere Pflege-,<br />

Förder- und Erziehungsleistungen als je zuvor,<br />

sie sind aber auch weit größeren Herausforderungen<br />

ausgesetzt.<br />

Der dominierende Tatbestand in unserer Gesellschaft<br />

ist somit nicht die Ablehnung von<br />

Kindern, sondern die Indifferenz gegenüber<br />

dem Umstand, ob Menschen die Verantwortung<br />

für Kinder übernehmen oder nicht, also die<br />

fehlende Anerkennung der Tatsache, inwieweit<br />

Indifferenz<br />

gegenüber<br />

familialen<br />

Leistungen

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