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Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag

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Drucksache 12/7560<br />

die Folge eines Bedeutungsverlustes der Ehe;<br />

nicht die Zuschreibung der „ Sinn" losigkeit von<br />

Ehen hat das Ehescheidungsrisiko erhöht und<br />

läßt Ehepartner heute ihren Eheentschluß eher<br />

revidieren, sondern der Anstieg der Ehescheidungen<br />

ist Folge gerade ihrer hohen psychischen<br />

Bedeutung und Wichtigkeit für den einzelnen,<br />

so daß die Pa rtner unharmonische eheliche<br />

Beziehungen heute weniger als früher<br />

„ertragen" können und sie deshalb ihre Ehe<br />

schneller auflösen.<br />

Diese theoretische Annahme wurde inzwischen<br />

empirisch bestätigt (Nave-Herz u. a. 1990).<br />

Nach dieser Studie sind die gestiegenen Scheidungsraten<br />

Folge von gestiegenen Erwartungen<br />

und Anforderungen an den Pa rtner oder die<br />

Partnerin und an die Partnerbeziehung sowie<br />

von Enttäuschungen durch Leistungsverweigerungen<br />

in den ehelichen „Austauschbeziehungen"<br />

und damit Ausdruck einer gestiegenen<br />

„psychischen Nutzenerwartung" an die Ehe.<br />

Hinzu kommt, daß familienexogene Belastungen<br />

Verstärkereffekte bei bereits vorhandenen<br />

ehelichen Spannungen besitzen. So können<br />

z. B. physische und psychische Arbeitsbelastungen,<br />

Arbeitslosigkeit, hohe Arbeitszeiten, finanzielle<br />

Schwierigkeiten, Alkohol und/oder andere<br />

Suchtprobleme eines Partners u. a. m. als<br />

Stressoren im Eheauflösungsprozeß wirken.<br />

Weiterhin zeigt diese Studie, daß trotz Ehescheidung<br />

die Ehe nicht generell in Frage<br />

gestellt bzw. abgelehnt wird. In Frage gestellt<br />

wird nur die eigene Ehe. Man löst die Ehe auf,<br />

gerade weil man die Hoffnung auf die Erfüllung<br />

einer idealisierten Vorstellung und hohen emotionalen<br />

Erwartung an die Ehe nicht aufgibt.<br />

Damit ist aber auch das Scheitern einer möglichen<br />

zweiten Ehe oder nächsten Partnerschaft<br />

bereits „vorprogrammiert" , was sich in<br />

den überproportionalen Scheidungsraten von<br />

Zweitehen widerspiegelt (Heekerens 1988,<br />

S. 78). Deshalb wäre es sinnvoll, bei einer Ehescheidung<br />

immer zu fragen, ob es sich de facto<br />

um eine — für alle Betroffenen notwendige —<br />

Revision einer „falschen" Partnerwahl handelt<br />

oder ob die Revision sich nicht auf die Ehe<br />

Erwartungen beziehen sollte, um zu vermeiden,<br />

daß sich erneut die Diskrepanz zwischen<br />

Anspruch und Realität und damit Enttäuschungen<br />

wiederholen. Notwendig verbunden ist<br />

hiermit die Fähigkeit der partnerschaftlichen<br />

Konfliktbewältigung (oder ihr Erlernen).<br />

Ferner ist es falsch anzunehmen, daß heute<br />

Ehen zu schnell und unüberlegt geschieden<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode<br />

würden. Der sukzessiv erfolgende Eheauflösungsprozeß<br />

ist immer mit hohen psychischen<br />

Belastungen für beide Partner verbunden und<br />

als Trauerprozeß zu beschreiben (vgl. Weiss<br />

1975; Wallerstein/Blakeslee 1989; Nave-Herz<br />

u. a. 1990).<br />

Das gilt auch für die betroffenen Kinder. Zu<br />

betonen ist zwar, daß bei ihnen bereits die<br />

konfliktgeladenen Beziehungen vor der Trennung<br />

der Eltern negative Erfahrungen darstellen,<br />

die zu psychischen Schädigungen führen<br />

können. Die Stärke der psychischen Belastung<br />

und die Art der Reaktionen der Kinder auf die<br />

Trennung der Eltern hängen von ihrem Alter,<br />

ihrem Geschlecht und von der Fähigkeit der<br />

Eltern ab, den Trennungsprozeß „vernünftig"<br />

durchzuführen und selbst psychisch zu verarbeiten,<br />

sowie davon, wie die Kinder auf die<br />

Ehescheidung seitens der Mutter und des<br />

Vaters vorbereitet werden. Auch stellt die veränderte<br />

schlechtere ökonomische Situation, vor<br />

allem bei nunmehr alleinerziehenden Müttern,<br />

eine nicht zu unterschätzende Belastung dar,<br />

die sich für manche Kinder negativ bei der<br />

Bewältigung der neuen Familiensituation auswirkt.<br />

Einfluß auf die kindliche Sozialisation<br />

während des Scheidungsprozesses haben ferner<br />

die Quantität und Qualität der Kontakte zu<br />

dem aus dem gemeinsamen Haushalt ausgeschiedenen<br />

Elternteil und die evtl. noch fortdauernden<br />

Streitigkeiten zwischen den Eltern auch<br />

nach der Trennung und Scheidung.<br />

„Scheidungsfamilien" weisen wegen der genannten<br />

unterschiedlichen Bedingungen eine<br />

beträchtliche Variation bezüglich ihrer „inneren<br />

Dynamik" und ihrer Probleme im Eheauflösungsprozeß<br />

und während der Zeit danach<br />

auf, die noch durch die vorhergehenden unterschiedlichen<br />

„Familiengeschichten" in ihrer<br />

Variabilität verstärkt werden.<br />

In der Forschung besteht heute Konsens darüber,<br />

daß „die Ehescheidung nicht als ein singuläres<br />

Ereignis, sondern als ein komplexer,<br />

mehrdimensionaler, sich über einen längeren<br />

Zeitraum erstreckender Veränderungsprozeß<br />

zu konzeptualisieren ist" (Rottleuthner-Lutter<br />

1989, S. 616), der nach einer Phase der Desorganisation<br />

zu einem neuen Gleichgewicht führt.<br />

Dies schließt aber keineswegs aus, daß dennoch<br />

die erlebten Scheidungserfahrungen (vor und<br />

nach der Trennung) auf Kinder und Jugendliche<br />

sehr langfristige und anhaltende negative Folgen<br />

auf ihre Persönlichkeitsentwicklung haben<br />

können (Haller u. a. 1992).<br />

Folgen für<br />

die Kinder<br />

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