Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag
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Drucksache 12/7560<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode<br />
Förde<br />
rungssy<br />
stem in<br />
der DDR<br />
zum allgemeinen Beistand in Krisensituationen.<br />
Für 1990 werden 200 Einrichtungen in den alten<br />
Bundesländern geschätzt. Für diese Form offener<br />
Hilfe gibt es bisher keine öffentliche Finanzierungsgrundlage,<br />
da sie nicht auf den Behinderten<br />
selbst, sondern auf die Betreuungsperson<br />
ausgerichtet sind. Soweit eine eigene Finanzierung<br />
durch die Betroffenen selbst nicht möglich<br />
ist, erfolgt die Finanzierung nur durch freiwillige<br />
Zuschüsse der Träger oder der öffentlichen<br />
Hand (Neuer-Miebach 1989).<br />
In den alten Bundesländern ist das Angebot an<br />
fördernden und entlastenden Hilfen ungleich<br />
verteilt. Zuständig für Planung und Finanzierung<br />
sind die Bundesländer, deren Regelungen<br />
verschieden sind. Aber auch innerhalb der Bundesländer<br />
ergeben sich charakteristische Disparitäten<br />
des Hilfeangebots (vgl. Engelbert<br />
1991). Deshalb sind die Chancen der Eltern,<br />
Unterstützung und Hilfe für ihre behinderten<br />
Kinder zu erfahren, recht ungleich verteilt.<br />
In der DDR begann die institutionalisierte Betreuung<br />
behinderter Kinder mit Vollendung des<br />
ersten Lebensjahres, im Rahmen von ,Sondergruppen'<br />
an regulären Krippen oder auch in<br />
Sonderkrippen. Hier fand eine koordinierte Förderung<br />
und Therapierung der Kinder statt,<br />
dagegen gab es kaum Angebote der Hausförderung.<br />
Dies entsprach der Politik der DDR, die<br />
Mütter von der täglichen Sorge für die Kinder ab<br />
dem 1. Lebensjahr zu entlasten und sie vollzeitlich<br />
in den Produktionsprozeß zu integrieren.<br />
Wie bereits erwähnt, erfolgte nach Abschluß der<br />
Krippenphase bereits eine Aussonderung der<br />
,förderungsunfähigen Geschädigten' und mit<br />
Beginn des Schulalters die Trennung in ,bildungsfähige'<br />
und ,bildungsunfähige Geschädigte.<br />
Die Bildungsfähigen wurden in speziellen,<br />
den Tagesstätten angegliederten Vorschulen<br />
und anschließend in spezialisierten Sonderschulen<br />
mit einer zehnjährigen Schulpflicht<br />
gefördert. Lernbehinderte Schüler und Schülerinnen<br />
besuchten die sog. ,Hilfsschulen' mit<br />
einer achtjährigen Schulzeit. Zumindest bei der<br />
sonderschulischen Situation dominierten große<br />
Einrichtungen mit Ganztags- und Internatsunterbringung.<br />
Familie wurde von diesen Kindern<br />
deshalb als Wochenend- oder Ferienfamilie<br />
erlebt, was Alltagserfahrungen im Zusammenleben<br />
mit Eltern und Geschwister, aber auch mit<br />
dem sozialen Umfeld und nichtbehinderten Kin<br />
Schulabgänger hatten das Recht auf einen Aus-<br />
-<br />
bildungs- und Arbeitsplatz. Zur Eingliederung<br />
in den Produktionsprozeß bestand ein staatlich<br />
organisiertes Berufsbildungssystem, das Berufsund<br />
Teilberufsabschlüsse vermittelte, dessen<br />
Wirksamkeit jedoch regional unterschiedlich<br />
eingeschätzt wird.<br />
Im Unterschied zu den alten Bundesländern<br />
waren somit die Eltern weitgehend von der<br />
Lebenslaufplanung für ihr behindertes Kind<br />
entlastet, allerdings wurde auch ihre Mitbestimmung<br />
für das Schicksal dieses Kindes stark<br />
eingeschränkt. Die Entscheidung, ob ein Kind<br />
als ,förderungsfähig' bzw. ‚bildungsfähig' galt<br />
oder nicht, wurde auf der Basis fachmedizinischer<br />
oder psychologischer Gutachten getroffen.<br />
Vereine und Interessenverbände von Behinderten<br />
oder ihren Angehörigen existierten<br />
kaum; erst in den letzten Jahren der DDR-<br />
Existenz entwickelten sich zunehmend Eigeninitiativen<br />
der Eltern, die allerdings staatlicherseits<br />
durchaus skeptisch betrachtet wurden.<br />
Vergleicht man die Situation der Familien mit<br />
behinderten Kindern in West- und Ostdeutschland,<br />
so ergeben sich charakteristische Unterschiede<br />
hinsichtlich der dominierenden<br />
Schwierigkeiten. In den alten Bundesländern<br />
gibt es ein vielfältiges und räumlich unterschiedliches<br />
Angebot an grundsätzlich leistungsfähigen,<br />
jedoch untereinander schlecht<br />
koordinierten Hilfen, für deren Finanzierung<br />
und Inanspruchnahme die Eltern Eigeninitiative<br />
entwickeln müssen. Die hierbei anfallenden<br />
Behördenkontakte werden von vielen<br />
Familien als besonders belastend erlebt, da die<br />
Kriterien der Hilfegewährung undurchschaubar<br />
und die Entscheidung häufig vom Beurteilungsspielraum<br />
der Behörden mit abhängig ist. Die<br />
Vielfalt der zumeist ambulanten Angebote<br />
bringt eine erhebliche zeitliche Beanspruchung<br />
der ,zuständigen' Mütter mit sich. Wie eine<br />
Untersuchung im Landkreis Reutlingen ergab,<br />
kommen die Eltern behinderter Kinder mit 9 bis<br />
16 verschiedenen Einrichtungen und Diensten<br />
in Berührung, und die Bewältigung der vielen<br />
Termine und die damit verbundenen Umstände<br />
werden von den Eltern auch als eine Hauptbelastung<br />
genannt. Einzelne Landkreise sind<br />
bereits dazu übergegangen, Koordinationsstellen<br />
für Behinderte einzurichten, um die Überforderung<br />
der Eltern durch die Komplexität des<br />
Hilfeangebots abzubauen. Die Inanspruchnahme<br />
sozialer Dienste bringt darüber hinaus<br />
für die Eltern auch Folgebelastungen, indem sie<br />
als unentgeltliche Ko-Therapeuten der Kinder<br />
herangezogen werden und vielfach auch Angelegenheiten<br />
ihrer Privatsphäre gegenüber<br />
Sachbearbeitern, Therapeuten oder Ärzten<br />
offenlegen müssen. Die Familien sehen sich also<br />
den widersprüchlichen Anforderungen gegenüber,<br />
aus ihrem ,Privatleben' Kraft zu schöpfen,<br />
und das heißt auch, den familialen Zusammenhalt<br />
zu stärken und gegenüber Umwelteinflüssen<br />
abzugrenzen, und dieses Privatleben aber<br />
auch gegenüber einer kontrollierenden und<br />
korrigierenden Umwelt zu öffnen. Dies muß<br />
zwangsläufig zu Problemen führen, auf die das<br />
Hilfesystem bis jetzt noch nicht reagiert hat.<br />
In den neuen Bundesländern dagegen dürfte<br />
das Hauptproblem heute in der Gewährleistung<br />
eines qualitativ und quantitativ angemessenen<br />
Angebots an sozialen Dienstleistungen für<br />
behinderte Kinder bestehen. Infolge des Abbaus<br />
des Krippenwesens muß damit gerechnet<br />
werden, daß heute Kleinkinder mit Behinderungen<br />
und Entwicklungsrisiken in einem erheblichen<br />
Teil aller Fälle nicht rechtzeitig behandelt<br />
Probleme<br />
in West<br />
deutsch<br />
land<br />
-<br />
-dern stark einschränkte. Auch behinderte<br />
Probleme<br />
in Ost<br />
deutsch<br />
land