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Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag

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Drucksache 12/7560<br />

die Gesamtheit der Familien läßt sich als<br />

gesellschaftliches Teilsystem begreifen,<br />

doch unterscheidet sich dieses in charakteristischer<br />

Weise von den übrigen Teilsystemen.<br />

Alle diese Teilsysteme erbringen unumgängliche<br />

Leistungen für den gesamtgesellschaftlichen<br />

Zusammenhang, sie sind<br />

also aufeinander angewiesen.<br />

2. Der Grundunterschied zwischen dem famihaIen<br />

und den übrigen gesellschaftlichen<br />

Teilsystemen liegt in ihrem Organisationsgrad.<br />

Akteure in der Politik sind z. B. Parteien,<br />

Verbände, Ministerien oder Körperschaften<br />

des öffentlichen Rechts, also große<br />

und arbeitsteilig aufgebaute Organisationen<br />

mit vielen Mitgliedern. Dasselbe gilt für<br />

die Wirtschaft (Unternehmungen, Verbände<br />

der Tarifpartner) und die übrigen<br />

Teilsysteme. Ihre Einheiten sind hochorganisiert<br />

und verfügen über eine Vielzahl von<br />

Spezialisten, die arbeitsteilig nach bestimmten<br />

Regeln und unter bestimmten kulturelliegitimierten<br />

Erfolgskriterien zusammenwirken.<br />

Familien dagegen sind kleine,<br />

verletzliche Gebilde von mindestens zwei<br />

(Alleinerziehende mit einem Kind) und<br />

kaum mehr als sechs (zwei bis drei Erwachsene<br />

und drei bis vier Kinder) Personen im<br />

gleichen Haushalt; auch haushaltübergreifende<br />

Netzwerke intensiver Kooperation<br />

sind nur selten größer. Familien sind damit<br />

die Strategien der Arbeitsteilung zur<br />

Lösung ihrer Probleme weitgehend verwehrt.<br />

Auch die herkömmliche geschlechtsspezifische<br />

Rollenteilung wird heute in dem<br />

Maße unzweckmäßig, in dem sich die Bindung<br />

der jungen Paare an ihre Verwandtschaft<br />

aufgrund beruflicher Mobilität<br />

und sonstiger Individualisierungstendenzen<br />

lockert und diese mit der Familiengründung<br />

neue Netzwerkbeziehungen aufbauen.<br />

Dann wird es unerläßlich, daß sich<br />

Mann und Frau wechselseitig vertreten<br />

können. Deshalb ist eine grundsätzlich<br />

gleichrangige Beteiligung beider Ehepartner<br />

sowohl an den außerfamilialen Handlungszusammenhängen<br />

als auch an der<br />

Familientätigkeit anzustreben.<br />

3. Die hochorganisierten Handlungseinheiten<br />

der übrigen Gesellschaftsbereiche beanspruchen<br />

die in ihnen wirkenden Personen<br />

in der Regel primär aufgrund von entgeltlichen<br />

Arbeitsverhältnissen, und zwar<br />

nur hinsichtlich ihrer hierfür spezifischen<br />

Kompetenzen. Ihr Bestand wird durch den<br />

Wegfall, die Kündigung oder den Tod einzelner<br />

Mitglieder kaum berührt. Der zeitweise<br />

und erst recht der permanente Ausfall<br />

auch nur eines Familienmitglieds stört dagegen<br />

den Familienzusammenhang empfindlich,<br />

er kann ihn sogar weitgehend zerstören.<br />

In ihrer Eigenschaft als Haushaltführende<br />

und Eltern werden die Menschen<br />

unabhängig von ihrer Vorbildung und<br />

beruflichen Qualifikation mit einer Vielzahl<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> -<br />

12. Wahlperiode<br />

von unterschiedlichen Aufgaben und Problemen<br />

konfrontiert, für deren Lösung sie<br />

bestimmte Daseinskompetenzen entwikkeIn<br />

müssen. In dem Maße, in dem die<br />

Arbeitsteiligkeit und Spezialisierung in den<br />

übrigen gesellschaftlichen Lebensbereichen<br />

fortschreitet, steigen auch die Anforderungen<br />

an die Familienmitglieder und<br />

ihre zeitliche Beanspruchung durch außerfamiliale<br />

Tätigkeiten. Stand früher das<br />

Familienleben unter den häufig belastenden<br />

Bedingungen materieller Knappheit<br />

und verwandtschaftlicher Kontrolle, so besteht<br />

heute die zentrale Herausforderung in<br />

der subjektiven Leistung der Familienmitglieder,<br />

trotz externer Beanspruchungen,<br />

sich "Familienzeit" zu nehmen, zusammenzuhalten<br />

und zu einem alle bereichernden<br />

Familienleben beizutragen.<br />

4. Der gesellschaftliche Charakter der<br />

Schwierigkeiten, mit denen Familien unter<br />

den gegenwärtigen Bedingungen zu kämpfen<br />

haben, läßt sich am besten mit der These<br />

einer "strukturellen Rücksichtslosigkeit"<br />

der verschiedenen gesellschaftlichen Teilsysteme<br />

gegenüber der Familie kennzeichnen.<br />

Damit wird auf den Umstand verwiesen,<br />

daß die herrschenden gesellschaftlichen<br />

Normen und Leistungszusammenhänge<br />

im Regelfalle keine Rücksicht darauf<br />

nehmen, ob Menschen Elternverantwortung<br />

tragen oder nicht. Elternschaft gilt als<br />

"Privatsache". Eltern werden daher im Regelfall<br />

"wie jedermann" behandelt. Diese<br />

Privatisierung der Elternverantwortung<br />

bringt jedoch den Kinderlosen im Regelfalle<br />

Konkurrenzvorteile. Die spezifischen Belastungen<br />

von Eltern - z. B. mit Bezug auf<br />

den Zeithaushalt und die ökonomischen<br />

Möglichkeiten - und ihr gesellschaftlicher<br />

Nutzen werden zwar rhetorisch, aber in der<br />

Regel nicht alltagspraktisch anerkannt.<br />

5. Unter dem Einfluß des Selbstverständlichwerdens<br />

weiblicher Berufstätigkeit entwikkelte<br />

sich die Zahl der Kinder zu einem<br />

zentralen Element sozialer Ungleichheit.<br />

Dies ist keine Folge von Kinderfeindlichkeit,<br />

sondern von Kinderindifferenz, der<br />

strukturellen Rücksichtslosigkeit von Wirtschaft<br />

und Staat gegenüber dem Tatbestand<br />

der Elternschaft. Die Bekämpfung dieser<br />

Ungleichheit wird nicht ohne Eingriffe in<br />

die Besitzstände der Kinderlosen möglich<br />

sein.<br />

6. Die Zukunft der Familie wird sich daran<br />

entscheiden, inwieweit es gelingt, die kulturellen<br />

Motive und ökonomischen Bedingungen<br />

für eine verbreitete Stabilisierung<br />

dauerhafter Partnerschaftsbeziehungen auf<br />

der Basis einer Gleichberechtigung der<br />

Geschlechter zu schaffen und die Folgen<br />

der Übernahme von Elternverantwortung<br />

durch entsprechende arbeitsmarkt- und<br />

sozialpolitische Maßnahmen günstiger zu

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