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Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag

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Bedeutung<br />

der<br />

Familie in<br />

der DDR<br />

Verhältnis<br />

zwischen<br />

Kindern<br />

und ihren<br />

Eltern<br />

nach der<br />

Wende<br />

Elternzen<br />

triertheit<br />

in Ost und<br />

West<br />

Drucksache 12/7560<br />

5.3 Besondere Probleme zwischen Eltern<br />

und ihren Kindern/Jugendlichen<br />

durch den Vereinigungsprozeß?<br />

Die Familie war in der DDR der Ort, wo man sich<br />

zurückziehen konnte, wo Meinungen offen,<br />

ohne Furcht vor öffentlicher Zurechtweisung<br />

und politischen Konsequenzen diskutiert werden<br />

konnten, wo Eltern und Kinder „zusammenhielten"<br />

. Rückblickend wird deshalb die<br />

DDR häufig als „Nischengesellschaft" bezeichnet<br />

(Krause 1991, S. 89). In den Lebensentwürfen<br />

und Wertvorstellungen kam demzufolge der<br />

Familie und den eigenen Kindern eine sehr<br />

große Bedeutung zu (Gysi 1989), und zur „Normalbiographie"<br />

gehörte die möglichst frühe<br />

Familiengründung, evtl. bereits während der<br />

Ausbildung (vgl. Kapitel II.2).<br />

Auch im Alltag der Kinder und Jugendlichen<br />

nahm die Familie eine bedeutende Rolle ein.<br />

Wenn auch die gemeinsame Zeit durch Schule,<br />

Jugendorganisationen, durch die Erwerbstätigkeit<br />

der Eltern u. a. m. begrenzt war, orientierten<br />

sich die Kinder und Jugendlichen in ihren<br />

Einstellungen, ihrem Verhalten, selbst in ihren<br />

politischen Haltungen und Zielen dennoch an<br />

den Eltern; sie galten als Vorbilder (Mansel u. a.<br />

1992, S. 32).<br />

Die politischen und ökonomischen Veränderungen<br />

könnten nunmehr diese Beziehungen zwischen<br />

Eltern und ihren Kindern, vor allem wenn<br />

diese im Jugendalter sind, wegen der Wirksamkeit<br />

neuartiger externer Stressoren beeinflußt<br />

haben, wie z. B. durch Arbeitslosigkeit, die<br />

frühere politische Haltung und Position der<br />

Eltern und durch die von der Familie neu zu<br />

leistenden Aufgaben, die früher „vergesellschaftet"<br />

waren, z. B. Ferienbetreuungen, Kantinenessen,<br />

Arztbesuche der Kinder, die Lösung<br />

von Versicherungsfragen u. a. m. In Massenkommunikationsmitteln<br />

werden zudem häufig<br />

als Ursache von rechtsradikalen Aktionen in<br />

den neuen Bundesländern die Spannungen<br />

zwischen Eltern und ihren jugendlichen Kin<br />

dern als Folge des Einigungsprozesses oder ihre<br />

fehlende Einbindung in die Familie behauptet.<br />

Einstellungsmessungen von Jugendlichen zeigen<br />

jedoch, daß auch nach der politischen<br />

Wende die große Mehrheit von ihnen angibt,<br />

daß die Beziehungen zu ihren Eltern „sehr gut"<br />

oder zumindest „gut" sind (jeweils 42 %, insgesamt<br />

also 84 %), wobei das Verhältnis zur Mutter<br />

als noch besser als zum Vater beschrieben wird<br />

(Mansel u. a. 1992, S. 32ff.). Die betontere Stellung<br />

der Mütter als elterliche Bezugspersonen<br />

in den neuen Bundesländern bestätigen auch<br />

die Ergebnisse der Shell-Studie von 1992. Sie<br />

zeigen ferner, daß mehr Jugendliche im Osten<br />

als im Westen Deutschlands ihre Eltern als<br />

Ratgeber für die verschiedensten Lebensbereiche<br />

heranziehen, in politischen Fragen auch<br />

ihre Mütter (Shell-Studie '92, S. 292ff.). Überhaupt<br />

sind sie — wie die folgende Graphik zeigt<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode<br />

— noch elternzentrierter als Jugendliche im<br />

Westen, wenn auch in beiden Teilen Deutschlands<br />

die Eltern für ihre Kinder wichtige Personen<br />

„für ihr Leben " sind.<br />

Diese stärkere Elternzentriertheit kommt auch<br />

in der Freizeitgestaltung zum Ausdruck. 70 %<br />

der ostdeutschen ledigen Jugendlichen verbringen<br />

noch „oft" oder „sehr oft" ihre Freizeit mit<br />

den Eltern gegenüber 59 % der westdeutschen<br />

Jugendlichen. Umgekehrt haben mehr Jugendliche<br />

im Westen als im Osten einen „wirklichen<br />

Freund" bzw. eine „wirkliche Freundin" (87 %<br />

gegenüber 82 %) oder gehören einer Clique an:<br />

42 % gegenüber 34 % treffen sich „regelmäßig"<br />

mit einem festen Kreis junger Leute (Oswald<br />

1992, S. 295).<br />

Eine qualitative Analyse von 1 200 Schulaufsätzen<br />

(geschrieben in der Zeit zwischen April bis<br />

Mai 1990) zeigt zudem die starke Identifikation<br />

der Kinder mit den neuen Problemen ihrer<br />

Eltern (vor allem im Hinblick auf die Sorge um<br />

den Arbeitsplatz). Aus den Zitaten wird ferner<br />

deutlich, daß die Jugendlichen sehr unterschiedlich<br />

in bezug auf ihre familiale Situation<br />

durch die politischen und ökonomischen Veränderungen<br />

betroffen zu sein scheinen. Viele<br />

betonen, „bei uns zuhause hat sich nicht sehr<br />

viel verändert" , andere dagegen berichten, daß<br />

der Familienalltag „hektischer und stressiger"<br />

ist, daß sich die Eltern mehr als früher im Beruf<br />

engagieren; zudem müßten sie (vor allem die<br />

12- bis 14jährigen) heutzutage mehr im Haushalt<br />

helfen (Günther 1992, S. 296ff.). Auch aus<br />

dieser Studie ist also insgesamt nicht auf ein<br />

verschlechtertes Verhältnis zwischen den Jugendlichen<br />

und ihren Eltern zu schließen.<br />

Ebenso beurteilen Eltern in einer diesbezüglichen<br />

Befragung überwiegend die Beziehung zu<br />

ihren Kindern als unverändert im Vergleich zu<br />

DDR-Zeiten (= 86 %). Doch gleichzeitig geben<br />

auch 14 % an, mehr Probleme mit den Kindern<br />

heute im Vergleich zur Zeit vor der Wende zu<br />

haben (vor allem Arbeitslose und Eltern mit<br />

mehr als zwei Kindern), und 11 % registrieren<br />

heute ein schlechteres Familienklima. Nur 7 %<br />

betonen hierin eine Verbesserung, und 79 %<br />

notieren keine Veränderung. Insgesamt überwiegen<br />

in dieser Befragung aber eher die positiven<br />

Antworten: So hat sich z. B. bei 15 % der<br />

familiale Zusammenhalt verstärkt, vermutlich<br />

eine Folge des neuen Außendrucks auf die<br />

Familie (z. B. durch Arbeitslosigkeit oder durch<br />

die Furcht vor ihr), und die Eltern widmen heute<br />

mehr Zeit der Familie (vgl. Expertise Meyer).<br />

Insofern bestätigen alle vorhandenen Untersuchungen<br />

erneut, was Wurzbacher u. a. bereits<br />

auch nach dem Zweiten Weltkrieg festgestellt<br />

haben, daß sich Familien gerade in Umbruchzeiten<br />

als Solidaritätsgemeinschaften erweisen<br />

und die Familien — als relativ geschlossene<br />

Systeme — sich von den familienexogenen<br />

„Umbrüchen" nicht in dem — häufig vermute-<br />

-<br />

Familien<br />

zusam<br />

menhalt in<br />

den neuen<br />

Bundesländern

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