Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag
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Der<br />
Krank<br />
heitsbe<br />
griff in<br />
der Schul<br />
medizin<br />
Drucksache 12/7560<br />
ßere Herausforderung nicht nur für die Eltern,<br />
sondern auch für die beschützenden Werkstätten<br />
dar, welche dem neuen Behindertentypus<br />
Rechnung tragen müssen.<br />
4. Gesundheitswesen und Familie<br />
4.1 Von der Krankheitsbekämpfung<br />
zur Gesundheitsförderung<br />
Die zentrale Institution des Gesundheitswesens<br />
in der Bundesrepublik Deutschland ist die<br />
gesetzliche Krankenversicherung (GKV), der<br />
rund 90 % der Bevölkerung angehören. Sie wird<br />
durch ein komplexes Verhandlungssystem von<br />
den Verbänden der Krankenkassen einerseits<br />
und den Verbänden der medizinischen Leistungsanbieter<br />
andererseits unter der Aufsicht<br />
des Bundesministeriums für Gesundheit gesteuert<br />
(Alber 1992). 46 % aller Ausgaben für<br />
Gesundheitszwecke (1990: 303,8 Mrd.) werden<br />
von der GKV finanziert; hinzu kommen die Aufwendungen<br />
der übrigen Sozialleistungsträger<br />
(9,4 %), der privaten Krankenversicherungen<br />
(5,7 %), der öffentlichen Haushalte (13,4 %)<br />
sowie der Betriebe (16,0 %) und der privaten<br />
Haushalte (9,5 %) (Henke 1993, S. 108). Der<br />
ganz überwiegende Teil dieser Aufwendungen<br />
dient der Krankenversorgung sowie der krankheitsbedingten<br />
Einkommenssicherung (Lohnfortzahlung,<br />
Krankengeld). Die vorherrschende<br />
Auffassung von Gesundheit und Krankheit ist<br />
dabei von den Vorstellungen der klinischen<br />
Medizin geprägt: Als Krankheiten gelten im<br />
wesentlichen die durch Mittel der Schulmedizin<br />
mit Aussicht auf Erfolg behandelbaren Gesundheitsbeeinträchtigungen<br />
der Individuen, und<br />
die durch die gesetzliche Krankenversicherung<br />
zu finanzierenden Behandlungsformen werden<br />
in Gebührenordnungen abschließend aufgezählt.<br />
Zwar haben gerade die jüngsten Reformen<br />
der GKV eine stärkere Betonung des präventiven<br />
Gesichtspunktes mit sich gebracht,<br />
aber Prävention wird hier im wesentlichen als<br />
medizinische Aufklärung und Krankheitsprävention<br />
verstanden, bezieht sich also auf die<br />
Tätigkeit der Gesundheitsberufe mit Bezug auf<br />
den einzelnen Risikoträger.<br />
Wandel In dieser Perspektive erscheint somit Krankheit<br />
des als ein ausschließlich individuelles Geschehen,<br />
Krank das auch ausschließlich durch eine Therapie am<br />
heitsspek einzelnen Menschen zu beseitigen ist. Diese<br />
-<br />
trums Auffassung hat sich für einen breiten Bereich<br />
der Gesundheitsstörungen durchaus bewährt,<br />
insbesondere bei Infektionskrankheiten und<br />
allen Arten körperlicher Verletzungen. Nicht<br />
zuletzt als Konsequenz der immer größeren<br />
medizinischen Erfolge in diesen Bereich en<br />
treten jedoch heute andere Befindlichkeitsstörungen<br />
wie chronische Krankheiten, psychosomatische<br />
Beschwerden, Suchterkrankungen<br />
u. ä. in den Vordergrund des Interesses. Für<br />
diesen Typus von Erkrankungen ist es charakteristisch,<br />
daß sie sich nicht auf eine eindeutig<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode<br />
bestimmbare Ursache zurückführen lassen,<br />
deren Beseitigung zu einer Wiederherstellung<br />
des Gesundheitszustandes führt. Diese Befindlichkeitsstörungen<br />
sind vielmehr in der Regel<br />
die Folge des Zusammenwirkens vielfältiger<br />
Faktoren: der Veranlagung, der Lebensweise,<br />
der Umwelt, der Ressourcen und der sozialen<br />
Beziehungen der von ihnen Betroffenen. Die<br />
Behandlung der klinischen Symptomatik führt<br />
dabei in der Regel nicht zu einer dauerhaften<br />
Heilung, sondern allenfalls zu Milderung des<br />
subjektiven Leidens.<br />
Angesichts dieses Wechsels im Krankheitspanorama<br />
drängt heute eine zum klinischen<br />
Gesundheits- bzw. Krankheitsverständnis konkurrierende<br />
und es ergänzende Auffassung in<br />
den Vordergrund, welche Krankheit und Gesundheit<br />
primär epidemiologisch betrachtet<br />
und eine Verbesserung des Gesundheitszustandes<br />
der Bevölkerung weniger von der individuellen<br />
Krankenbehandlung als von Maßnahmen<br />
der öffentlichen Gesundheitsförderung erwartet.<br />
Wirksamster Träger dieser Auffassung ist<br />
die Weltgesundheitsorganisation (WHO), doch<br />
gewinnt dieses Gedankengut nunmehr auch in<br />
der Bundesrepublik durch die Einführung neuer<br />
gesundheitswissenschaftlicher Studiengänge<br />
(Public Health) an Einfluß (vgl. Schwartz u. a.<br />
1991, Hurrelmann/Laaser 1993). Erst aus dieser<br />
umfassenderen Perspektive wird die große<br />
Bedeutung der Familie für die Krankheitsprävention<br />
und auch für den Umgang mit Befindlichkeitsstörungen<br />
und chronischen Belastungen<br />
deutlich, wie dies im vorangehenden skizziert<br />
wurde: Befriedigende Familienbeziehungen<br />
stellen einen wirksamen Schutzfaktor im<br />
Gesundheitsgeschehen dar, Familienangehörige<br />
sind die wichtigsten Bezugspersonen in<br />
gesundheitsrelevanten Netzwerken und bevorzugte<br />
Hilfepersonen bei Krankheitsepisoden<br />
und Pflegebedürftigkeit, Familienangehörige<br />
unterstützen in der Regel gesundheitsförderliche<br />
Lebensweisen, die Selbstmedikation und<br />
die häusliche Pflege ersparen dem öffentlichen<br />
Gesundheitswesen Milliarden an Kosten. Umgekehrt<br />
ist allerdings auch nicht zu übersehen,<br />
daß unter ungünstigen Bedingungen die familialen<br />
Beziehungen pathogene Entwicklungen<br />
auslösen oder verstärken können.<br />
Aus dieser Perspektive stellen sich somit zwei<br />
für die Gesundheitspolitik relevante Fragen:<br />
1. Inwieweit ist es möglich und erforderlich, die<br />
Familienverhältnisse im Rahmen therapeutischer<br />
Bemühungen zu berücksichtigen?<br />
2. Gibt es Möglichkeiten, die gesundheitliche<br />
Wirksamkeit familialer Bedingungen durch<br />
entsprechende Maßnahmen zu steigern?<br />
Im Rahmen des neuerlichen Nachdenkens über<br />
öffentliche Gesundheitsförderung steckt die<br />
Beachtung der Familie noch in den Anfängen.<br />
Es können daher im folgenden nur erste Überlegungen<br />
vorgetragen werden.<br />
Bedeutung<br />
von<br />
Prävention