Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag
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Drucksache 12/7560<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode<br />
an der Lebenswirklichkeit mit unterschiedlichen<br />
Familienformen orientiert. Sie begreift Familie als<br />
eine dynamische Form menschlichen Zusammenlebens,<br />
die Veränderungen unterliegt und von den<br />
kulturellen Vorstellungen und Werthaltungen ebenso<br />
geprägt ist wie von den sozialen und wirtschaftlichen<br />
Gegebenheiten einer Gesellschaft.<br />
Auch die einzelnen Menschen erleben Familie als<br />
einen dynamischen Prozeß. Sie werden in eine Familie<br />
hineingeboren, wachsen in ihr auf und bleiben<br />
dieser Familie auch dann noch verbunden, wenn sie<br />
ihre Herkunftsfamilie verlassen und einen eigenen<br />
Haushalt oder eine eigene Familie gründen. Sie<br />
erfahren Familie auch als ein mehr oder minder eng<br />
geknüpftes Verwandtennetz, als Teil einer Generationenfolge.<br />
Die Bundesregierung sieht im Rahmen von Artikel 6<br />
Grundgesetz ihre Aufgabe darin, mit ihrer Familienpolitik<br />
die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen<br />
dafür zu schaffen, daß Familien ihr Leben nach<br />
ihren eigenen Vorstellungen gestalten können. Es<br />
geht nicht darum, bestimmte Leitbilder für die<br />
Lebensplanung einzelner Menschen vorzugeben,<br />
bestimmte Aufgabenverteilungen zwischen den Geschlechtern<br />
vorzuschreiben oder bestimmte Lebensformen<br />
zu diskriminieren. Allerdings sieht die Bundesregierung<br />
ebenso wie der <strong>Familienbericht</strong> eine<br />
besondere Verpflichtung, diejenigen Lebensformen<br />
zu schützen und zu fördern, die nicht nur für die<br />
Beteiligten selbst, sondern auch für die Gesellschaft<br />
wichtige und notwendige Leistungen erbringen.<br />
Wie der Bericht zu Recht darlegt, hat die Bedeutung<br />
der Familie weder für die einzelnen noch für die<br />
Gesellschaft insgesamt abgenommen. Die Familie ist<br />
und bleibt der Ort der personalen Entfaltung des<br />
Menschen. Eine gesicherte Beständigkeit innerfamiliärer<br />
Beziehungen, die auch Belastungen durchsteht,<br />
gibt Kindern das notwendige Vertrauen in den Wert<br />
der eigenen Person wie in die Zukunft. Sie vermittelt<br />
die Erfahrung, daß der einzelne Mensch nicht schutzlos<br />
ist und daß Belastungen gemeinsam tragbar werden.<br />
Im Erleben individueller Geborgenheit werden<br />
Kinder gleichzeitig hingeführt zu Toler anz, Verantwortungsbewußtsein<br />
und Rücksichtnahme.<br />
Trotzdem hat die Familie insbesondere in den letzten<br />
30 Jahren einen weitgehenden Wandel erfahren.<br />
Nicht nur die Formen familialen Zusammenlebens<br />
haben sich erheblich geändert, sondern auch die<br />
Aufgaben von Familien sowie Aufgabenwahrnehmung<br />
und verteilung in den Familien. Die patriarchalisch<br />
geprägte Ehe- und Familienstruktur wurde während<br />
der letzten Jahrzehnte zunehmend von partnerschaftlichen<br />
Formen des Zusammenlebens abgelöst.<br />
Vor allem für Frauen sind die Lebensperspektiven und<br />
Optionen vielgestaltiger geworden; eine eindeutige<br />
Festlegung des Lebensentwurfs von Frauen auf die<br />
Rolle als Ehefrau und Mutter existiert nicht mehr.<br />
Frauen haben eigenständige Lebensperspektiven für<br />
sich entwickelt; insbesondere in den neuen Ländern<br />
haben sie — staatlich gelenkt und gefördert — eine<br />
von einem Ehemann unabhängige eigene Lebensplanung<br />
verfolgt, zu der selbstverständlich die Erwerbstätigkeit<br />
gehörte. Das System ließ dabei aus ideologischen<br />
Gründen Wahlfreiheit praktisch nicht zu. Aber<br />
auch im Westen wird das Recht der Frauen auf eine<br />
eigene, von einem Ehemann unabhängige Rolle in der<br />
Gesellschaft, die ihnen ein Leben allein oder in<br />
Familie und/oder Beruf offenläßt, kaum noch in Frage<br />
gestellt.<br />
Eine Vereinbarkeit von Familie mit Ausbildung oder<br />
Beruf scheitert jedoch noch oft an der sozialen Wirklichkeit.<br />
Der Arbeitsmarkt erwartet von den im<br />
Erwerbsleben Stehenden volle Einsatzbereitschaft<br />
und hohe berufliche Mobilität. Neben den unzureichenden<br />
Betreuungsmöglichkeiten für Kinder stellen<br />
häufig noch nicht ausreichende Teilzeitangebote und<br />
noch nicht ausreichend flexible Arbeitszeiten besondere<br />
Probleme dar. Außerdem folgt das heutige Rollenverhalten<br />
von Männern der Ausweitung der Frauenrolle<br />
noch kaum; als Normalbiographie für Männer<br />
gilt nach wie vor die des ohne Unterbrechung vollzeiterwerbstätigen<br />
Mannes, der Haushaltsführung und<br />
Kinderbetreuung dem weiblichen Part überläßt. Daraus<br />
folgen erhebliche Schwierigkeiten bei der Alltagsorganisation<br />
des Familienlebens. Dennoch erfüllen<br />
die Familien ihre für unsere Gesellschaft unerläßlichen<br />
Aufgaben, die häufig unterschätzt werden.<br />
Um die Bedeutung der familialen Leistungen für die<br />
Gesellschaft zu belegen, hat die Kommission in dem<br />
vorgelegten Bericht das Konzept vom Humanvermögen<br />
einer Gesellschaft entwickelt. Sie versteht unter<br />
Humanvermögen sowohl die Gesamtheit der Kompetenzen<br />
aller Mitglieder einer Gesellschaft wie auch<br />
das Handlungspotential des einzelnen, d.h. alles, was<br />
ihn befähigt, sich in die komplexe Welt kompetent<br />
einzubringen und sich darin zu bewegen. Die Kommission<br />
sieht ebenso wie die Bundesregierung in der<br />
Familie den bevorzugten Ort der Entstehung und<br />
Erhaltung von Humanvermögen.<br />
Sie weist nach, daß Familien in ihren vielfältigen<br />
Formen zentrale Aufgaben der privaten und gesellschaftlichen<br />
Daseinsvorsorge übernehmen. Sie zeigt,<br />
wie entscheidend für den Fortbestand unserer Gesellschaft<br />
die weitere Bereitschaft zur Elternschaft und<br />
zur Übernahme von Verantwortung für die Sicherung<br />
der Versorgung, Pflege, Erziehung und Ausbildung<br />
von Menschen ist, wie nur so jenes humane und<br />
soziale Vermögen erhalten werden kann, das die<br />
Überlebensfähigkeit und Kultur einer Gesellschaft<br />
sichert.<br />
Der Bericht legt dar, wie mit der Entwicklung der<br />
modernen Industriegesellschaft zunehmend allein die<br />
bezahlte, außerhäuslich ausgeübte und zeitlich geregelte<br />
Tätigkeit als Arbeit anerkannt wurde, während<br />
der gesellschaftliche Wert der unentgeltlich in Haushalt<br />
und Familie verrichteten Arbeit weitgehend in<br />
wirtschaftlichen Be trachtungen als kaum bewertbar<br />
vernachlässigt wurde. Es wurde als selbstverständlich<br />
unterstellt, daß diese Leistungen weiterhin unentgeltlich<br />
zur Verfügung stehen. Mit der zunehmenden<br />
Bildung und Ausbildung von Frauen sowie ihrem<br />
Bestreben, im Erwerbsleben Fuß zu fassen, sind<br />
jedoch — entsprechend den ökonomisch orientierten<br />
Wertvorstellungen der Gesellschaft -- immer weniger<br />
Frauen bereit, diese Aufgaben selbstverständlich<br />
allein und unentgeltlich zu übernehmen.