Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag
Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag
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Sozial -<br />
und Familienpolitik<br />
in Europa<br />
Drucksache 12/7560<br />
zukünftig in weiterem Umfange als bisher durch<br />
Anrechnung von Kindererziehungszeiten ausgeglichen<br />
werden. Der Gerichtshof der Europäischen<br />
Gemeinschaften (EuGH) hat diesen<br />
Schutz auf Wanderarbeitnehmer/innen ausgedehnt<br />
(Rechtssache C-251/89 vom 11. Juli 1992).<br />
Sind die kinderbezogenen Rentenleistungen in<br />
dem Mitgliedsland, in dem Wanderarbeiter/<br />
innen arbeiteten, höher als in demjenigen, in<br />
dem sie später wohnen, so sind die jeweils<br />
höheren Rentenleistungen zu zahlen. Aber auch<br />
im Steuerrecht hat das Bundesverfassungsgericht<br />
in jüngster Zeit in ausdrücklicher Abweichung<br />
von seiner oben zitierten Rechtssprechung<br />
(BVerfGE 43, 121) den Gesetzgeber<br />
mehrfach darauf hingewiesen, daß familiale<br />
Leistungen zukünftig mehr als bisher steuermindernd<br />
anerkannt werden müssen. Das<br />
Gericht verpflichtet den Gesetzgeber für die<br />
Zukunft, die Einkommensteuerpflichtigen insoweit<br />
von der Steuer freizustellen, als sie ihr<br />
Einkommen zur Finanzierung ihres eigenen<br />
Existenzminimums und desjenigen ihrer ihnen<br />
gegenüber unterhaltsberechtigten Familienmitglieder<br />
benötigen (so BVerfGE 82, 60; 82,<br />
198, zuletzt in der Entscheidung vom 25. September<br />
1992). Dies gilt nicht nur im Falle der<br />
Unterhaltspflicht gegenüber Kindern, sondern<br />
auch bei der Unterhaltspflicht gegenüber anderen<br />
Angehörigen, z. B. den Eltern (BVerfGE 66,<br />
214).<br />
Durch den Zusammenbruch des Ostblocks ist<br />
schließlich auch das einheitliche Kontrastbild<br />
der westlichen Länder verschwunden, dem<br />
gegenüber die eigene Gesellschaftsordnung als<br />
die gemeinsame und bessere erschien. Die Vielfalt<br />
innerhalb der westlichen Gesellschaften,<br />
insbesondere die Unterschiede zwischen den<br />
Modellen der Sozial- und Familienpolitik, werden<br />
sichtbarer und unter dem Sog der europäischen<br />
Einigung auch praktisch bedeutungsvoller.<br />
Deutlicher treten die unterschiedlichen<br />
Typen des staatszentrierten skandinavischen,<br />
des marktzentrierten angelsächsischen und des<br />
„gemischten", von der Arbeitsteilung zwischen<br />
Staat, Markt und Verbänden getragenen Wohlfahrtsmodells<br />
der meisten kontinentaleuropäischen<br />
Staaten ins Bewußtsein. Die nationalen<br />
Politikmodelle verlieren ihre bisherige Selbstverständlichkeit<br />
durch den internationalen Vergleich.<br />
Das gilt insbesondere im Bereich der<br />
Familien- und Frauenpolitik, wo im internationalen<br />
Vergleich der immer noch relativ patriarchale<br />
Charakter der bisherigen westdeutschen<br />
Gesellschaftsordnung hervortritt, was schon zu<br />
Entscheidungen der Europäischen Menschenrechtskommission<br />
und des Europäischen Gerichtshofes<br />
im Hinblick auf eine verstärkte<br />
Gleichstellung der Geschlechter in Deutschland<br />
geführt hat. Aber nicht nur hinsichtlich der<br />
Stellung der Frauen, auch hinsichtlich der Stellung<br />
der Kinder ergibt sich ein Anpassungsdruck<br />
durch die internationalen Verpflichtungen,<br />
welche die Bundesrepublik Deutschland<br />
eingegangen ist, beispielsweise durch die Rati<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode<br />
fizierung der UN-Konvention über die Rechte<br />
des Kindes.<br />
Aus all diesen Gründen ist es dem Fünften<br />
<strong>Familienbericht</strong> verwehrt, viele Selbstverständlichkeiten<br />
der alten Bundesrepublik einfach<br />
vorauszusetzen, da ihre Plausibilität geschwächt<br />
oder gar verschwunden ist. An die<br />
Stelle derartiger Selbstverständlichkeiten ist<br />
allerdings kein Vakuum, sondern ein in jüngster<br />
Zeit entstandenes vielfältiges Wissen über familiale<br />
Zusammenhänge getreten. Die Sozialgeschichte<br />
der Familie und der Generationen, die<br />
Familien- und Haushaltsökonomik, die Frauenforschung,<br />
die Makro- und Mikrosoziologie der<br />
Familie und des Geschlechterverhältnisses, die<br />
Familientherapie und die Bevölkerungswissenschaft,<br />
die Forschungen zur Sozial- und zur<br />
Familienpolitik — um nur die wichtigsten einschlägigen<br />
Wissensfelder zu nennen — haben<br />
im vergangenen Jahrzehnt einen deutlichen<br />
Aufschwung genommen, auf deren Ergebnisse<br />
auch die Sachverständigenkommission ihre<br />
Überlegungen stützen kann.<br />
Die Kommission sieht sich dabei in der Tradition<br />
der <strong>Familienbericht</strong>erstattung in der Bundesrepublik,<br />
die schon bisher versucht hat, anstehende<br />
und umstrittene Themen der jeweiligen<br />
Zeit aufzugreifen und zu klären. So beschäftigte<br />
sich der Zweite <strong>Familienbericht</strong> (1974) mit den<br />
Leistungen und Leistungsgrenzen der Familie<br />
hinsichtlich der Sozialisation der jungen Generation.<br />
Der Dritte <strong>Familienbericht</strong> (1979) behandelte<br />
schwergewichtig die Plazierungs- und<br />
Haushaltsfunktion der Familie sowie Probleme<br />
der Bevölkerungsentwicklung und -politik; dabei<br />
wurde in einem Exkurs auch die Situation<br />
ausländischer Familien dargestellt. Der Vierte<br />
<strong>Familienbericht</strong> (1986) hatte die Situation der<br />
älteren Menschen in der Familie zum Thema.<br />
Dieser Fünfte <strong>Familienbericht</strong> beabsichtigt entsprechend<br />
dem Berichtsauftrag eine möglichst<br />
umfassende Darstellung familialer Lebenssituationen<br />
in den neuen und alten Bundesländern.<br />
Im Bericht der Sachverständigenkommission<br />
werden dabei die in den bisherigen <strong>Familienbericht</strong>en<br />
erörterten Themen nur kurz oder in<br />
anderer Sichtweise angesprochen, um für neue<br />
Grundsatzüberlegungen Raum zu schaffen. Im<br />
Zentrum dieses Fünften <strong>Familienbericht</strong>s steht<br />
die Darstellung der Leistungen der Familien für<br />
die Erhaltung und Sicherung des Humanvermögens<br />
der Gesellschaft. Dabei wird insbesondere<br />
auf die Probleme einzugehen sein, welche aus<br />
dem Umstand entstehen, daß in vielen Gesellschaftsbereichen<br />
die spezifischen Leistungen<br />
derjenigen Menschen nicht anerkannt werden,<br />
die familiale Aufgaben übernehmen, sei es in<br />
der Form der Elternverantwortung oder der<br />
Unterstützung von hilfe- und pflegebedürftigen<br />
Verwandten. Diese strukturelle Rücksichtslosigkeit<br />
in vielen Bereichen unserer Gesellschaft<br />
begründet soziale Problemlagen von Familien,<br />
die nicht nur aus Gerechtigkeitsgründen, sondern<br />
auch mit Rücksicht auf ihre nachteiligen<br />
Folgen für die Humanvermögensbildung eine<br />
Schwer-<br />
-<br />
punkte<br />
des Fünften<br />
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richts