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Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag

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Unzufrie<br />

denheit<br />

der Bevöl<br />

kerung<br />

Die friedliche Revolution der ostdeutschen<br />

Bevölkerung wurde durch zwei sehr unterschiedliche<br />

Bewegungen ausgelöst. Die eine<br />

entstand durch den Druck und die Erfolge der<br />

Ausreisewilligen in den Botschaften von „Bruderländern";<br />

für die andere waren die trotzigen<br />

Massendemonstrationen mit dem Slogan „Wir<br />

sind das Volk" und „Wir bleiben hier" bezeichnend.<br />

Der Sturz Honneckers, die Öffnung der<br />

Mauer 1989, die Volkskammerwahlen, der<br />

Staatsvertrag über die Währungs-, Wirtschaftsund<br />

Sozialunion vom 18. Mai 1990 und schließlich<br />

der Einigungsvertrag mit dem Beitritt der<br />

DDR nach Artikel 23 des Grundgesetzes vom<br />

3. Oktober 1990 waren die bewegenden zeitgeschichtlichen<br />

Ereignisse dieser Spanne. Drei<br />

Jahre danach ist das westdeutsche Netzwerk<br />

rechtlicher, politischer, sozialer und ökonomischer<br />

Strukturen komplett auf die ostdeutsche<br />

Gesellschaft übertragen worden. Die DDR hat<br />

sich aufgelöst, geblieben sind jedoch die<br />

Lebensschicksale der Bürger und Bürgerinnen.<br />

Belastungen<br />

nach<br />

der Wie<br />

derverei<br />

nigung<br />

Drucksache 12/7560<br />

gen. Der rasante Ausbau von „Intershops" zur<br />

Devisenbeschaffung sowie der Delikat- und<br />

ExquisitVerkaufsstellen („UWUBU") zur Abschöpfung<br />

von Kaufkraft hatte ambivalente Folgen.<br />

Einerseits widersprachen beide Maßnahmen<br />

der gepredigten Ideologie und schlossen<br />

Bevölkerungsgruppen ohne Westkontakte sowie<br />

solche ohne Zulagen und Prämien vom<br />

Erwerb dieses gehobenen Sortiments an Nahrungsmitteln<br />

und modischer Bekleidung aus,<br />

andererseits konnten Konsumbedürfnisse befriedigt<br />

werden. Die Umweltzerstörung und der<br />

Zerfall der Städte wurden immer sichtbarer.<br />

In der Bevölkerung wuchs der Unwille gegenüber<br />

dem System. Seit 1985 schien durch Gorbatschows<br />

Perestroika und Glasnost eine<br />

Erneuerung des kommunistischen Systems<br />

möglich. So wird in vielen empirischen Studien<br />

aus den „Jahren vor der Wende" von aufkommender<br />

Resignation und Unzufriedenheit in der<br />

Bevölkerung bis in die SED hinein berichtet,<br />

weil die Honnecker-Führung keinen Veränderungswillen<br />

aufkommen ließ. Die Ereignisse der<br />

Jahre 1989/1990, die nur eines unmittelbaren<br />

Anstoßes wie den der Grenzöffnung in Ungarn<br />

bedurften, um den politischen Umsturz herbeizuführen,<br />

waren die Folge der skizzierten Entwicklungen.<br />

Die „ Wende" und die Wiedervereinigung<br />

beider Teile Deutschlands 1989 bis 1993<br />

Die Dimensionen der Arbeitslosigkeit, der<br />

Zusammenbruch von Industrien, die Chancenlosigkeit<br />

vieler älterer Arbeitnehmer und<br />

Arbeitnehmerinnen auf einen Dauerarbeitsplatz,<br />

die Neuverteilung von bebautem und<br />

unbebautem Grund und Boden, die politischideologisch<br />

bedingte „Abwicklung" des gesamten<br />

Personals im Bildungs- und Wissenschaftsbereich,<br />

der Polizei, des Militärs und der Staats<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> 12. Wahlperiode<br />

sicherheit, die Hilfs- und Orientierungslosigkeit<br />

der Verwaltungen sowie die unzureichende<br />

Demokratieentwicklung führten zu einem „Einheitsschock"<br />

der ostdeutschen Bevölkerung<br />

und zu erheblichen Ausscheidungs-, Anerkennungsund<br />

Verteilungskämpfen in West-Ostund<br />

Ost-Ost-Dimensionen, zwischen Generationen,<br />

Regionen und Kommunen, zwischen<br />

Nachbarn, Belegschaften und Freunden.<br />

Trotz der ungewöhnlichen Belastungen, welche<br />

die ostdeutschen Menschen und Familien zu<br />

tragen haben, steht weder die deutsche Einheit<br />

noch der Transformationsprozeß zur Disposition<br />

Konturen erhält jedoch nach einer Phase<br />

der Lähmung und Selbstblockierung s mit dem<br />

resignativen Beigeschma ck, „Bürger zweiter<br />

Klasse zu sein". Daraus folgt eine abnehmende<br />

Bereitschaft zur Akzeptanz vorn Westen „importierter<br />

Modelle" und „importierter Fachleute".<br />

Dies zeigt sich auch in der politischen Diskussion<br />

um die Frauenerwerbstätigkeit, den § 218,<br />

die Erhaltung von Industriestandorten und den<br />

faktischen Verzicht oder Aufschub der Geburt<br />

von Kindern (Reißig 1993, insbes. S. 159 bis<br />

201).<br />

Das Kohortenschicksal der jüngsten hier zu<br />

beschreibenden Altersgruppe in den neuen<br />

Bundesländern, der Jahrgangsgruppe der 1967<br />

bis 1976 Geborenen, die 1993 zwischen 17 und<br />

26 Jahre alt ist, wird bestimmt von der „Wende",<br />

die diese Altersgruppe in ihrer Ausbildungs-,<br />

Berufseinstiegs- und Familiengründungsphase<br />

traf und ihr völlig neue Lebensdispositionen<br />

abverlangte, vertraute Versorgungsinstitutionen<br />

nahm, aber auch neue Chancen eröffnete.<br />

Diese Altersgruppe hatte überwiegend Mütter,<br />

die erwerbstätig waren; ihre Kindheit verbrachte<br />

sie in den Familien und tagsüber in den<br />

Kindereinrichtungen. Sie erhielten alle eine<br />

gute Berufsausbildung. Ein Arbeitsplatz war<br />

ihnen in der DDR bis 1990 sicher. Ihre Lebensplanung<br />

beruhte mit Ausnahme der jüngsten<br />

Jahrgänge auf sozialen und familienorientierten<br />

Maßnahmen der DDR aus den 80er Jahren,<br />

die es ihnen möglich machte, schon während<br />

der Ausbildung Kinder zu haben. Sehr viele<br />

Frauen und Männer hatten folglich 1990 beim<br />

Prozeß der Vereinigung schon Kinder. Das Verhältnis<br />

zum Gesellschaftssystem der DDR war —<br />

wenn auch im einzelnen differenziert — so doch<br />

eher distanziert und äußerlich, obgleich der<br />

Anpassungsdruck besonders groß war.<br />

Diese Altersgruppe erlebt nach der Wende eine<br />

Wirtschaftskrise, die vor allem jene jungen<br />

Menschen und insbesondere Frauen trifft, deren<br />

Lebensplanung auf eine Vereinbarkeit von<br />

Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit ausgerichtet<br />

war und die damit rechneten, daß die<br />

Aufwendungen für Kinder zu dreiviertel von der<br />

Gesellschaft und nicht privat erbracht werden<br />

würden. Der Mangel an Ausbildungs- und<br />

Arbeitsplätzen, die Schließung der Kindereinrichtungen<br />

bzw. zu hohe Beiträge für diese<br />

führen diese junge Generation jedenfalls vor-<br />

-<br />

1967<br />

bis 1976<br />

Geborene

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