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Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag

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Interesse<br />

für Engagement<br />

im<br />

Selbsthilfebereich<br />

Hemm<br />

nisse im<br />

Aufbau<br />

von<br />

Selbst<br />

hilfe<br />

netzen<br />

Drucksache 12/7560<br />

machen es wahrscheinlich, daß diese Form der<br />

wechselseitigen Hilfe von gleich Betroffenen<br />

die bezeichneten Schwierigkeiten für betreute<br />

und betreuende Familienmitglieder noch am<br />

ehesten vermindern und u. U. auflösen kann.<br />

Für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen<br />

für die Entfaltung von familienbezogenen<br />

Selbsthilfeinitiativen spricht auch, daß man<br />

nach übereinstimmenden Ergebnissen verschiedener<br />

Untersuchungen davon ausgehen<br />

kann, daß rund ein Drittel der Bevölkerung der<br />

Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich interessiert<br />

ist, sich selbst unentgeltlich im Sozialund<br />

Gesundheitsbereich zu engagieren. Die<br />

Zahl derer, die das in die Tat umsetzen und<br />

wöchentlich mindestens drei Stunden ehrenamtlich<br />

oder in Selbsthilfe im Sozial- oder<br />

Gesundheitsbereich tätig waren, beträgt nach<br />

einer Befragung von 1984 in vier mittelgroßen<br />

Städten immerhin noch 10 % der erwachsenen<br />

Bevölkerung (Braun/Opielka 1992, S. 29). Das<br />

Spektrum an Themen und Problemen, die von<br />

unterschiedlichen Arten von Selbsthilfegruppen<br />

angegangen werden, ist sehr breit.<br />

Im Rahmen einer Befragung von Selbsthilfekontaktstellen<br />

in 20 Städten und Kreisen in den<br />

-<br />

alten Bundesländern wurde auch eine Analyse<br />

ausgewählter Merkmale von Interessentinnen<br />

und Interessenten für Selbsthilfegruppen<br />

durchgeführt. Sie zeigt, daß Frauen hier dreimal<br />

so häufig vertreten sind wie Männer. Außerdem<br />

verfügt diese Gruppe über eine überdurchschnittliche<br />

schulische Bildung. Die Erwerbstätigkeit<br />

hat demgegenüber für das Interesse an<br />

Selbsthilfegruppen keine Bedeutung. Der Anteil<br />

der Erwerbstätigen an den Interessierten<br />

entspricht weitgehend ihrem Anteil an der<br />

Gesamtbevölkerung (Braun/Opielka 1992,<br />

S. 35 ff.).<br />

Ermutigend ist der positive Zusammenhang mit<br />

dem Bildungsniveau, das insgesamt gesehen<br />

weiter im Steigen begriffen ist. Problematisch<br />

erscheint hingegen der geringe Anteil an Männern.<br />

Es wird deshalb besonders wichtig sein,<br />

auch Maßnahmen und Formen der Selbsthilfe<br />

zu entwickeln, an denen sich auch Männer<br />

stärker beteiligen. Hemmnisse für einen weiteren<br />

Ausbau des Selbsthilfebereichs sind nach<br />

Auskunft von hauptberuflich im Sozial- und<br />

Gesundheitsbereich Tätigen abgesehen von<br />

einer geringen Selbsthilfefähigkeit sozial Benachteiligter<br />

besonders die geringen Kenntnisse<br />

von den Leistungen und Möglichkeiten<br />

von Selbsthilfe, die geringe Unterstützung<br />

durch Politik und Verwaltung und, v. a. im<br />

ländlichen Bereich, schlechte Verkehrsverbindungen<br />

zu den Gruppentreffen (a. a. O., S. 32).<br />

Das sind Hemmnisse, die zu einem guten Teil<br />

durch die Kooperation mit wohnungsnahen<br />

Nachbarschafts- oder Stadtteilzentren abgebaut<br />

werden können. Ermutigend ist, daß das<br />

Gesundheitsreformgesetz Ansprüche auf die<br />

finanzielle Unterstützung von Selbsthilfegruppen<br />

definiert.<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode<br />

In solchen Zentren könnten zusätzlich auch<br />

Angebote einer professionellen Familienberatung<br />

gemacht oder zumindest koordiniert werden.<br />

Eine solche hier vereinigte Palette von<br />

Selbst- und Fremdhilfe mit unterschiedlichen<br />

inhaltlichen Schwerpunkten böte damit auch<br />

einen sehr günstigen Ausgangspunkt für eine<br />

„ganzheitliche Beratung (vgl. das Gutachten<br />

„Familie und Beratung" des Wissenschaftlichen<br />

Beirats des BMFuS) und Problembearbeitung.<br />

Der weitere Ausbau von Nachbarschafts- und<br />

Stadtteilzentren und die Förderung des Selbsthilfebereichs<br />

und der damit verbundenen stärkeren<br />

Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten<br />

an sozialen Dienstleistungen ist aus den<br />

genannten Gründen wichtig. Man kann allerdings<br />

nicht davon ausgehen, daß sich der<br />

Selbsthilfebereich zu einem kostengünstigen<br />

Ersatz für fest institutionalisierte, professionelle<br />

Dienstleistungen entwickeln läßt. Eine solche<br />

Sichtweise hätte nur eine weitere Belastung der<br />

tendentiell ohnehin überforderten Familien zur<br />

Folge. Außerdem sind auch wesentliche Unterschiede<br />

sowohl in den Strukturen als auch in<br />

den Leistungen zwischen diesen beiden Bereiche<br />

zu beachten. Einer Institution, die hierarchisch<br />

organisiert, an formalen Qualifikationen<br />

orientiert und aufgrund arbeitsvertraglich festgelegter<br />

Zuständigkeiten operiert, steht die<br />

Selbsthilfeform gegenüber, die in deutlicher<br />

Abgrenzung von hierarchischen Strukturen alle<br />

wichtigen Planungs- und Entscheidungsprozesse<br />

in Gruppen bzw. im Plenum aller Beteiligten<br />

zu treffen versucht und damit nicht nur die<br />

Verantwortung auf viele verteilt, sondern in<br />

allem auch viel stärker von einem Konsens der<br />

Beteiligten abhängig ist. Dementsprechend<br />

können Pflege und Betreuungsleistungen, die<br />

über eine längere Zeit in einer ganz bestimmten<br />

Form und aufgrund klar umschriebener Qualifikationen<br />

erbracht werden müssen, nicht von<br />

Selbsthilfeeinrichtungen übernommen werden.<br />

Die für Selbsthilfeeinrichtungen charakteristischen<br />

Prinzipien Freiwilligkeit, Selbsttätigkeit<br />

und Gegenseitigkeit sind in der Regel nicht „mit<br />

der Anforderung einer prinzipiellen (voraussetzungslosen)<br />

Erreichbarkeit und Verläßlichkeit<br />

zu vereinbaren" (Helbrecht-Jordan/Pettinger<br />

1991, S. 244).<br />

Um die Vorzüge beider Dienstleistungsformen<br />

in angemessener Weise zu nutzen, ist eine<br />

parallele Entwicklung von institutionalisierten<br />

Betreuungsleistungen und Selbsthilfeangeboten<br />

erforderlich. Erst das macht es möglich, daß<br />

diese beiden Bereiche sich wechselseitig ergänzen,<br />

bereichern und auch herausfordern (vgl.<br />

Gerzer/Pettinger 1992). Eine wichtige Ergänzung<br />

leistet der Selbsthilfebereich mit seinen<br />

flexiblen, auf besondere lokale und individuelle<br />

Bedürfnisse zugeschnittenen Dienstleistungen.<br />

Die darüber hinausgehende Bereicherung liegt<br />

in dem bereits umrissenen Kranz zusätzlicher<br />

Leistungen, die mit der Schaffung lokaler<br />

Öffentlichkeiten sowohl für das Gemeinwesen<br />

„Ganzheitliche"<br />

Beratung<br />

und Pro<br />

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Verhältnis<br />

von<br />

Selbsthilfe<br />

und pro<br />

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Dienstleistungen

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