Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode Drucksache 12/7560<br />
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Diese ist nämlich nicht auf einen mangelnden<br />
Kinderwunsch zurückzuführen; ganz im Gegenteil:<br />
empirische Untersuchungen zeigen,<br />
daß gerade Frauen, auch kinderlose, sich Kinder<br />
wünschen (Schneewind u. a. 1992, S. 111) und<br />
daß sie nur durch bestimmte strukturelle Bedingungen<br />
an der Einlösung ihres Kinderwunsches<br />
gehindert werden. Vornehmlich wegen der<br />
Schwierigkeit der Vereinbarkeit von hoher<br />
Berufsorientierung und Familiengründung wird<br />
zuweilen zunächst eine befristete Kinderlosigkeit<br />
gewählt, die dann aber zu einer lebenslangen<br />
unfreiwilligen wegen bestimmter Ereignisse<br />
(Krankheit, Unfall, Alter u. a. m.) werden<br />
kann (Nave-Herz 1988a). Eine Politik, die insbesondere<br />
das Ziel einer besseren Vereinbarkeit<br />
von außerhäuslicher Erwerbstätigkeit<br />
(auch gerade beider Partner) und Elternschaft<br />
verfolgt, erleichtert bzw. ermöglicht überhaupt<br />
heutzutage vielfach erst eine Familiengründung,<br />
wie z. B. ein Blick auf die skandinavischen<br />
Länder oder auch auf die DDR zeigt<br />
(Huinink 1991, S. 294).<br />
4. Strukturelle Veränderungen<br />
des Familienalltags<br />
4.1 Strukturelle Veränderungen<br />
des Familienalltags<br />
während der Säuglings- und<br />
Kleinkinderphase<br />
Eine der größten sozialen Veränderungen während<br />
der letzten Jahrzehnte stellt der Wandel<br />
von Kindheit dar. Im folgenden kann dieser nur<br />
in groben Umrissen beschrieben werden; Differenzierungen<br />
nach Familientypen, nach Wohnregionen,<br />
nach ethnischen Zugehörigkeiten,<br />
nach Konfessionen der Kinder u. a. m., mußten<br />
des Umfanges wegen unterbleiben. Die folgenden<br />
Abschnitte konzentrieren sich allein entsprechend<br />
dem Titel dieses Kapitels auf die<br />
Darstellung von Veränderungen.<br />
Aus dem Rückgang der Kinderzahl pro Familie<br />
resultiert, daß viel mehr Kinder — als noch vor<br />
10 oder 20 Jahren — gegenwärtig keine<br />
Geschwister mehr oder allerhöchstens eine<br />
Schwester oder einen Bruder besitzen. Nach<br />
dem DJI-Survey (Bertram 1992, S. 49/50) ist in<br />
den alten und in den neuen Bundesländern von<br />
allen Familien mit Kindern die Zwei-Kinder-<br />
Familie die häufigste Form (28 % bzw. 37 %),<br />
gefolgt von der Ein-Kind-Familie (21 % bzw.<br />
28 %). Es ist damit heutzutage für viele Kleinkinder<br />
eine typische Erfahrung, nur in enger<br />
Beziehung mit Erwachsenen — vornehmlich<br />
allein mit den Eltern, in der Regel überwiegend<br />
mit der Mutter — und nicht mit anderen Kindern<br />
in den ersten Lebensjahren aufzuwachsen (vgl.<br />
z. B. Kuhnt/Speil 1986, S. 23ff.; Schütze 1988,<br />
S. 95 ff.)<br />
Ferner bilden Geschwister bei einer höheren<br />
Zahl häufig ein eigenes Subsystem in der Fami<br />
lie und das bedeutet, daß einerseits die Eltern in<br />
ihrer Betreuungsfunktion hierdurch entlastet<br />
und daß andererseits die Kinder damit weniger<br />
auf die ständige Präsenz der Eltern oder eines<br />
Elternteiles als Ansprechpartner angewiesen<br />
sind. Weiterhin soll die Mehr- oder Einzelkind<br />
Situation unterschiedliche Auswirkungen auf<br />
den Sozialisationsprozeß des Kindes haben. So<br />
erfahren Erstgeborene (und damit auch alle<br />
Einzelkinder) von ihren Eltern tendenziell<br />
höhere Zuwendungen, Aufmerksamkeit, aber<br />
auch Überfürsorglichkeit als die weiteren Kinder<br />
(Schachter 1959; Sutton-Smith/Rosenberg<br />
1970; Forer/Still 1982; Toman 1989, S. 81 ff.;<br />
zusammenfassend: Karsten 1993). Man hat<br />
jedoch der Geschwisterkonstellationsforschung<br />
vorgeworfen, daß ihre Sichtweise zu monokausal<br />
sei und ferner, daß sie Kompensationsmöglichkeiten<br />
nicht einbeziehe und die Stärke<br />
dieser Sozialisationsbedingung überbetone<br />
(Schütze 1989a, S. 311 ff.). Dennoch bedeutet<br />
das Nicht-Vorhandensein einer Geschwistergruppe<br />
das Fehlen einer altersgemischten<br />
Gemeinschaft, der man sich nicht entziehen<br />
kann; und damit fehlt die Chance, frühzeitig<br />
Integrationsprobleme lösen zu lernen. Familienergänzende<br />
Betreuungseinrichtungen (z. B.<br />
Krabbelstuben und Kindergärten) können diese<br />
Geschwistergemeinschaften nicht ohne weiteres<br />
ersetzen.<br />
Bank und Kahn (1975, S. 311ff.) betonen ferner<br />
aufgrund ihres aus der therapeutischen Praxis<br />
gewonnenen Wissens über Geschwisterbeziehungen,<br />
daß gerade bei solchen Geschwistern,<br />
denen es an elterlicher Zuwendung mangelte,<br />
eine besonders enge Beziehung und tiefgreifende,<br />
wechselseitige Loyalität ausgeprägt sind.<br />
Diese Kompensationsmöglichkeit ist Einzelkin<br />
dern nicht gegeben und wäre bei Zwei-Kinder-<br />
Familien weniger ausgeprägt.<br />
In der Ehepaar-mit-einem-Kind-Konstellation<br />
und in Ein-Eltern-Familien ist zudem strukturell<br />
der Ablösungprozeß von den Eltern erschwert,<br />
weil entweder das Kind stets auf die Eltern oder<br />
auf einen Elternteil verwiesen ist, was zu einer<br />
emotional besonders intensiven Elternbeziehung<br />
führen kann (nicht: muß), oder weil die<br />
Ehepartnerkonstellation so stark ist, daß das<br />
Kind sich tendenziell ausgeschlossen fühlt. Bei<br />
zwei oder mehr Kindern kann die Einheit der<br />
Geschwistergruppe ein Gegengewicht zu den<br />
Eltern bilden und dieses sowohl im Falle zu<br />
großer Nähe als auch zu großer Distanz zu den<br />
Eltern (Schütze 1989a, S. 311ff.).<br />
Das Fehlen von Geschwistern hat weiterhin für<br />
die zweite Generation zur Folge, daß immer<br />
mehr Kinder keine Seitenverwandten besitzen.<br />
Sie haben dafür heute die Chance durch die<br />
gestiegene Lebenserwartung —, eher ihre<br />
Großeltern und ihre Urgroßeltern zu erleben.<br />
Dagegen nahmen in früheren Zeiten die wenigen<br />
Kinder, die ihre Vorfahren überhaupt erlebten,<br />
diese jedoch eher in unmittelbarer Erfahrung<br />
wahr, da das Zusammenleben mit ihnen<br />
-<br />
Abnahme<br />
der horizontalen/<br />
Zunahme<br />
der vertikalen<br />
Verwandt<br />
schafts<br />
linien