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Fünfter Familienbericht - Deutscher Bundestag

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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode Drucksache 12/7560<br />

Gesund<br />

heitsbe<br />

griff der<br />

klinischen<br />

Medizin<br />

Drei<br />

Schichten<br />

individueller<br />

Gesundheit<br />

manvermögen. Wie bereits die Volksweisheit<br />

„Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit<br />

ist alles nichts" ausdrückt, ist der Gesundheitszustand<br />

eines Menschen für die Gesamtheit<br />

seiner Lebensvollzüge von zentraler<br />

Bedeutung. Die Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO) definiert Gesundheit als „Zustand des<br />

vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen<br />

Wohlbefindens und nicht als bloßes Fehlen<br />

von Krankheit oder Gebrechen". Dies entspricht<br />

der allgemein verbreiteten werthaften<br />

Vorstellung von Gesundheit und enthält daher<br />

einen utopischen Kern. Zwar wünschen wir uns<br />

alle Gesundheit in genau diesem Sinne, aber wir<br />

wissen, daß selbst im Grunde gesunde Menschen<br />

nur unter günstigen Voraussetzungen<br />

und zumeist nur in bestimmten Lebensphasen<br />

diesem Zustand nahekommen. Gesundheit in<br />

einem realistischen Sinne bedeutet, den sich<br />

alltäglich stellenden Aufgaben und Chancen in<br />

physischer und psychischer Hinsicht gewachsen<br />

zu sein. Das schließt den Umgang mit den<br />

eigenen Schwächen ein.<br />

Begriff und Vorstellungen von Gesundheit sind<br />

daher umstritten. Die klinische Medizin beschäftigt<br />

sich vor allem mit der Diagnose von<br />

Erkrankungen und Behinderungen sowie ihrer<br />

Behandlung mit dem Zweck ihrer Überwindung<br />

oder zum mindesten Besserung. Die herrschende<br />

Medizin ist somit krankheits-, nicht<br />

gesundheitszentriert. Nur 2 Mrd. DM oder 0,7 %<br />

der statistisch erfaßten Aufwendungen für das<br />

Gesundheitswesen in der Bundesrepublik dienten<br />

1989 ausdrücklich präventiven Zwecken<br />

(Müller 1991). Das ist auch insoweit verständlich,<br />

als die wirksamsten Formen der Gesundheitsvorsorge<br />

nicht vom System medizinischer<br />

Versorgung ausgehen, sondern beispielsweise<br />

von Sozialversicherungsträgern, Betrieben,<br />

Verkehrssystemen, Schulen sowie vor allem von<br />

den Betroffenen selbst und ihren Familien.<br />

Unter dem Aspekt der Humanvermögen und<br />

der mit ihnen verbundenen Leistungspotentiale<br />

lassen sich drei Schichten im Phänomenbereich<br />

individueller Gesundheit unterscheiden:<br />

— Die grundlegenden Dispositionen eines<br />

Menschen, welche teils erbbedingt, teils entwicklungsbedingt<br />

sind und mit einer gewissen<br />

Dauerhaftigkeit seine Fähigkeit bestimmen,<br />

mit ungünstigen und schädigenden<br />

Einflüssen umzugehen, also Beeinträchtigungen<br />

des Gesundheitszustandes zu vermeiden<br />

(Invulnerabilität, Elastizität, Resistenz).<br />

Im positiven Sinne läßt sich Gesundheit<br />

von Humanvermögen auf dieser Ebene<br />

kaum unterscheiden, insofern als — zum<br />

mindesten in unserer herrschenden westlichen<br />

Kultur — Gesundheit und Kompetenzen<br />

zur Lebensbewältigung und Umweltgestaltung<br />

(Daseinskompetenzen) nahezu in<br />

eins gesetzt werden. Eine ,gute Gesundheit'<br />

im Sinne ausgeprägter Dispositionen zur<br />

zielstrebigen und flexiblen Lebensbewältigung<br />

ist selbst ein zentrales Element von<br />

Humanvermögen.<br />

— Der aktuelle Gesundheitszustand eines<br />

Menschen, wie er uns als Gegenstand und<br />

Ergebnis medizinischer Diagnostik erscheint.<br />

Störungen der ,normalen' Funk-<br />

-<br />

tionsfähigkeit des Organismus vorübergehender<br />

oder dauernder Art, aber auch psychische<br />

Störungen ab einem gewissen Auffälligkeitsgrad<br />

stellen Beeinträchtigungen<br />

der Lebensmöglichkeiten und der Leistungsfähigkeit<br />

der Individuen dar, welche die<br />

davon Betroffenen im Regelfalle zur Inanspruchnahme<br />

therapeutischer, rehabilitativer<br />

oder pflegerischer Leistungen nach Maßgabe<br />

ärztlicher Bedarfsnormierung berechtigen.<br />

Gesundheit bedeutet hier somit das<br />

Fehlen medizinischer oder psychosozialer<br />

Behandlungsbedürftigkeit.<br />

— Der situative Gesundheitszustand eines<br />

Menschen, wie er sich in der subjektiven<br />

Erfahrung des Wohlbefindens oder des einer<br />

bestimmten Situation Gewachsen- oder<br />

Nicht-Gewachsen-Seins darstellt. Negative<br />

Erfahrungen dieser Art erstrecken sich vom<br />

momentanen ,Nicht-in-Form-Sein' über die<br />

wahrnehmbare Symptomatik von aktuellen<br />

Erkrankungen und Behinderungen bis zu<br />

den Erfahrungen organisch oder persönlichkeitsbedingten<br />

Versagens in bestimmten, in<br />

der Regel besonders herausfordernden Situationen.<br />

Andererseits kann durch das subjektive<br />

Annehmen unvermeidbarer Beeinträchtigungen<br />

der Gesundheit auch der situative<br />

Gesundheitszustand verbessert werden.<br />

Gesundheit läßt sich jedoch nicht nur auf der<br />

Ebene von Individuen, sondern auch von sozialen<br />

Gruppen, ja ganzen Bevölkerungen thematisieren,<br />

wie dies insbesondere durch die Epidemiologie<br />

geschieht. Gesundheitsförderung vollzieht<br />

sich nicht nur im Sinne der Individualprävention,<br />

also der Vermeidung bestimmter Risikofaktoren<br />

durch eine gesunde Lebensweise<br />

oder spezifische Vorbeugungsmaßnahmen,<br />

sondern auch durch Verhältnisprävention, also<br />

durch die Beeinflussung der Lebensbedingungen,<br />

unter denen bestimmte Bevölkerungsgruppen<br />

besonderen Gesundheitsrisiken ausgesetzt<br />

sind.<br />

Unter dem Aspekt der Bildung und Erhaltung<br />

von Humanvermögen erscheint Gesundheit als<br />

eine Ressource, deren Quantität und Qualität<br />

das Ergebnis der vergangenen Biographie, der<br />

mit ihr verbunden kumulierten Erfahrungen<br />

von Belastungen organischer und psychischer<br />

Art sowie auch der erfahrenen Zuwendung und<br />

Unterstützung bzw. der therapeutischen Hilfe<br />

im Bedarfsfalle ist. Sieht man von den relativ<br />

seltener werdenen Akutkrankheiten und Unfällen<br />

ab, so tragen ernsthafte Erkrankungen vor<br />

allem chronischen Charakter und sind in der<br />

Regel das Resultat allmählicher Entwicklung,<br />

also fortgesetzter Belastungen des Organismus<br />

oder der Psyche. Derartige Belastungen sind in<br />

der Regel mit bestimmten Lebensweisen verbunden,<br />

die als besonders risikoträchtig gelten:<br />

Gesundheit<br />

als<br />

Ressource<br />

für die<br />

Sicherung<br />

des Hu<br />

manver<br />

mögens

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