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KULTURPÄDAGOGIK UND SCHULE 159<br />

und <strong>Kultur</strong> hatte sowohl systematisch-theoretische Gründe, die immer wieder – vor allem<br />

später in der Soziologie – dazu geführt haben, sich über die Priorität von „<strong>Kultur</strong>“ bzw. „Sozialem“<br />

zu streiten. Es gab allerdings auch wissenschafts- und professionspolitische Gründe,<br />

den einen gegen den anderen Begriff in Stellung zu bringen, so dass sich an dieser Frage<br />

Soziales vs. <strong>Kultur</strong> bzw. Sozialpädagogik vs. <strong>Kultur</strong>pädagogik sowohl grundlagentheoretische<br />

Aspekte, aber eben auch hochschulpolitische Machtkämpfe diskutieren lassen.<br />

All dies wird zur Zeit wieder thematisiert, da die Sozialpädagogik aus guten Gründen versucht,<br />

in ihrer Geschichte Parallelen zur heutigen Krisensituation und entsprechende Handlungsstrategien<br />

zu finden. Plausibel ist dieses Vorgehen durchaus. Denn von einer „Krise“<br />

kann man gerade für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg natürlich sprechen: Verlorener<br />

Krieg, Zusammenbruch des politischen Systems, ökonomische Dauerkrise, (Zer)-Störung<br />

im Sozialen etc. Natürlich ist die heutige Krise von anderer Art. Aber möglicherweise geht<br />

sie ähnlich tief. Da es schwierig ist, schleichende Veränderungen als solche zu erkennen,<br />

mag man einen kleinen Zeitsprung – etwa 15 oder 20 Jahre zurück in die Vergangenheit<br />

(bezogen auf Westdeutschland) – wagen. Wer damals den heute weitgehend ohne öffentlichen<br />

Protest durchgeführten Sozialabbau beschrieben hätte, wer etwa eine Diskussion über<br />

die Notwendigkeit von Hüftgelenkoperationen bei älteren Menschen vom Zaune gebrochen<br />

hätte, wäre schlichtweg für verrückt erklärt worden. Inzwischen haben wir uns alle<br />

daran gewöhnt, unter dem oft beschworenen „Umbau des Sozialstaates“ Abbau zu verstehen<br />

– und zu akzeptieren, auch wenn immer wieder euphemistische Begriffe aus diesem<br />

Diskurs („Ich-AG“, „Humankapital“ etc.) als Unwörter des Jahres gebrandmarkt werden.<br />

Vor diesem Hintergrund ist das folgende Szenario vielleicht immer noch ein Horrorszenario,<br />

aber inzwischen durchaus vorstellbar. Man stelle sich einmal vor, der Staat zieht sich<br />

noch weiter aus der Finanzierung im Sozial- und Bildungsbereich zurück. Wer sich die<br />

PISA-Ergebnisse anschaut, muss feststellen, dass immerhin über Jahre akzeptiert wurde,<br />

dass 20 bis 30% der Jugendlichen ohne relevante Kenntnisse in Lesen, Schreiben und Rechnen<br />

die Schule verlassen hat, ohne dass es zu einem Aufstand gekommen wäre. Man stelle<br />

sich vor, dieser Anteil wächst, da offenbar „die Gesellschaft“ die Kompetenzen dieser Jugendlichen<br />

nicht braucht – wozu sie also gegen gutes Geld entwickeln? Man landet daher<br />

bei diesem Szenario sehr schnell bei grundlegenden Fragen: Was veranlasst uns/die Gesellschaft/den<br />

Staat überhaupt, Geld für Soziales oder Bildung auszugeben? Humanistische<br />

Ideen, Aspekte der sozialen Ruhe oder der Legitimation, politischer Druck auf Parteien,<br />

Rechtsvorschriften, die UNO? In Kalifornien braucht man in einer ähnlichen Situation<br />

inzwischen mehr Geld für Gefängnisse als für Schulen. Ein großer Teil der ausrangierten<br />

Jugendlichen bleibt offenbar unauffällig (stillgestellt vielleicht durch kommerzielle Freizeitangebote),<br />

den verbleibenden protestierenden Rest kann man kostengünstiger in Arbeitslager<br />

oder Gefängnisse stecken. Diese Überlegungen mögen in der heutigen Situation fremd<br />

anmuten: Bei der Einführung der Jugendhilfe und Sozialpädagogik, ja sogar bei der Einführung<br />

von Schulen spielten sie durchaus auch in Deutschland eine Rolle. Selbst heute<br />

wird diskutiert, dass ein Verbleib der Jugendlichen in der Schule diese nicht nur von der<br />

Straße, sondern auch von einem Arbeitsmarkt fernhält, der ihnen keine Angebote machen<br />

kann. Was heißt es also in dieser Situation, über die Grundlagen einer pädagogischen Disziplin<br />

nachzudenken: Hat man das Ziel, ein widerspruchsfreies Begriffsgerüst zu entwickeln?<br />

Zielt man auf eine überzeugende Begründung, dass „die Praxis“ entsprechende Professionalitäten<br />

braucht? Und was bedeutet hier „die Praxis“: die Wirtschaft, das soziale<br />

Zusammenleben, die Politik, die <strong>Kultur</strong>einrichtungen?

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