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190 KULTURELLE BILDUNG UND BILDUNGSREFORM<br />

stand die „soziale Frage“ und somit soziale Zerrüttung und Anomie, mit der sich dann<br />

Philosophen, Soziologen, Literaten und Pädagogen am Ende des 19. Jahrhunderts auseinandersetzten.<br />

Es entstand das industriegesellschaftliche Modell der Arbeitsgesellschaft (Castell<br />

2000) mit dem dazugehörigen Bildungssystem, bei dem neben die Schule und die berufliche<br />

Bildung eine außerschulische Sozialpädagogik, der Kindergarten und eine Erwachsenenbildung<br />

traten und so alle Lebensphasen des Menschen und alle gesellschaftlichen<br />

Bereiche eine Pädagogisierung erfuhren. Entlang der Gliederung des Buches von Galuske<br />

(2002), der die Sozialpädagogik der entfalteten Arbeitsgesellschaft einer im Entstehen begriffenen<br />

„flexiblen Arbeitsgesellschaft“ und ihrer Sozialpädagogik der Zweiten Moderne<br />

(U. Beck) gegenüberstellt, will ich einige Bestimmungsmerkmale dieser Arbeitsgesellschaft<br />

benennen:<br />

1. Es dominiert ein Normalarbeitsverhältnis, ein beruflicher Wechsel findet eher selten<br />

statt, man bleibt sehr lange nicht nur im selben Beruf, sondern sogar am selben Arbeitsplatz.<br />

Dies bedeutet, dass das Bildungssystem eine klare Aufgabe hat: zu qualifizieren für<br />

einen Beruf, der mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ausgeübt werden kann und der den<br />

Lebensunterhalt sichert.<br />

2. Es wird ein Wohlfahrts- und Sozialstaat immer weiter ausgebaut, der Lebensrisiken in<br />

einem in der Geschichte der Menschheit bislang nie gekannten Umfang absichert. Damit<br />

wird zugleich die Legitimität der politischen, der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung<br />

gesichert. Der vorläufig letzte Schritt bei dem Ausbau des Sozialstaates ist die Mitte<br />

der neunziger Jahre eingeführte Pflegeversicherung.<br />

3. Auf der Ebene des Individuums entwickelt sich der arbeitsgesellschaftliche Habitus als<br />

„ökonomisch rationale, produktive, arbeitszentrierte und auf Zukunft ausgerichteten<br />

Haltung“ (ebd., S. 103).<br />

4. Die Sozialpädagogik hat in diesem industriegesellschaftlichen Sozialstaat die Aufgabe,<br />

bei Härtefällen und Störungen einzugreifen, wobei stets die Perspektive der Integration,<br />

der Wiedereingliederung in die „normalen“ gesellschaftlichen Abläufe für Fachkraft und<br />

Klient eine klare Orientierung vorgab. Die Pädagogik als Zugriff auf das Subjekt hatte<br />

insofern eine Berechtigung, als das „System“ durchaus aufnahmebereit war, sofern gewisse<br />

Anpassungsleistungen durch das Subjekt erbracht wurden.<br />

Vor dem Hintergrund dieses Gesellschaftsmodells ist die seinerzeit von Fend im Anschluss<br />

an die funktional-strukturelle Soziologie von Parsons eingebrachte Funktionsbestimmung<br />

der Schule plausibel: Schule hat die Aufgabe der Qualifikation (Wirtschaft), der Legitimation<br />

(Politik), der Sozialisation als Einübung in das je vorfindliche soziale Leben mit seinen<br />

Werten und Normen und der Enkulturation als Hineinentwicklung in die vorhandene<br />

„<strong>Kultur</strong>“. Natürlich war dieses Denken strukturkonservativ. Aber dies deckte sich mit der<br />

Vorstellung, dass eine parlamentarische Demokratie verbunden mit der Marktwirtschaft<br />

alle Ziele der Moderne (Bildung für alle, <strong>Kultur</strong> für alle, Wohlstand für alle) keine Veränderungsnotwendigkeit,<br />

sondern bestenfalls eine Optimierungsmöglichkeit („Mehr Demokratie<br />

wagen!“) erfordert bzw. ermöglicht. Allerdings war die Realität doch nicht so idealtypisch<br />

wie diese Reißbrettkonstruktion. Vielmehr gibt es eine zunehmende (Selbst)-Kritik,<br />

die sich an der Nichteinlösung der Versprechungen von allseitiger Bildung, Freiheit oder<br />

Wohlstand für alle festmachte. Freud schrieb über das Unbehagen an der <strong>Kultur</strong>, Berger<br />

u.a. über die Unbehaustheit, Entfremdung, Entzweiung, die „bürgerliche Kälte“ (Gruschka)<br />

und schließlich als vermutlich einflussreichste Diagnose: Die Kolonialisierung der Lebenswelt<br />

durch das „System“ (Habermas), und dieses bestand vor allem in der Durchset-

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