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KULTURPÄDAGOGIK UND SCHULE 189<br />

Diese Form der Geschichtsschreibung, bei der politische, soziale, kulturelle und ökonomische<br />

Einflüsse ebenso berücksichtigt werden wie eine gewisse Eigengesetzlichkeit der Praxis<br />

(bis hin zu dem systemtheoretischen Postulat einer Selbstreferentialität) und eine – vielleicht<br />

auch nur regulative – Rolle der pädagogischen Reflexion, steht jedoch nicht alleine da. Es<br />

gibt vielmehr nach wie vor Ansätze einer Geschichtsschreibung, die der ökonomischen<br />

oder politischen Funktionalisierung des Bildungssystems eine Dominanz für dessen Entwicklung<br />

zusprechen oder die die Pädagogik als bloß geistiges Ringen um neue Begründungsweisen<br />

für eine sich im Selbstlauf an diesen orientierende Praxis interpretieren und<br />

bei denen gesellschaftliche Rahmenbedingungen (sowohl der Theorienbildung als auch der<br />

Praxis) wenig Einfluss auf diese Praxis haben. Gerade im Kontrast zu solchen Ansätzen ist<br />

eine Historiographie sowohl der Theorie- als auch der Realgeschichte hilfreich, die diese<br />

„gegen den Strich bürstet“. Dabei denke ich weniger an den Totalverriss von Freerk Huiskens<br />

(1998), sondern vielmehr an die Studie von L. A. Pongratz (1989), der in einem<br />

doppelten Durchgang durch die Geschichte mit Hilfe des Ansatzes der Dialektik der Aufklärung<br />

(Horkheimer/Adorno) und der „Analytik der Macht“ (Foucault) die klammheimliche<br />

Zurichtung des Subjekts zur Akzeptanz von Unterordnung und Disziplinierung herausarbeitet.<br />

Ein Ergebnis sollte dabei – gerade vor dem Hintergrund entsprechender PISA-<br />

Ergebnisse – besonders alarmieren: Dass insbesondere als Fehlfunktionen kritisierte Alltagsabläufe<br />

in der Schule durchaus funktional im Sinne eines heimlichen Lehrplanes sind,<br />

wenn es um das Ziel der Disziplinierung der Heranwachsenden geht. Nimmt man zu diesem<br />

Ergebnis die lapidare Feststellung des jeglicher parteipolitischer Polemik fern stehenden<br />

Jürgen Oelkers dazu, dass gerade die oft kritisierte hohe Selektivität des deutschen<br />

Schulsystems „systematisch gewollt“ sei (Artikel „Ganztagsschulen…“ in Pädagogik, H.<br />

12/Dezember 2003, S. 36), dann wird man kaum noch unbefangen eine möglichst umfassende<br />

Allgemeinbildung aller Heranwachsenden als allseitig erwünscht unterstellen dürfen.<br />

Vor diesem Hintergrund erhält die kapitalismuskritische Schrift von Huiskens dann<br />

sogar eine gewisse Plausibilität.<br />

Formen von systematischer Unterweisung der nachwachsenden Generation gab es schon<br />

immer. Mit wachsender Beschleunigung der gesellschaftlichen Entwicklung findet eine<br />

Institutionalisierung des Bildungswesens (zuerst Universitäten, dann Gelehrtenschulen,<br />

später Volksschulen als „niederes Schulwesen“) seit der Renaissance statt. Immerhin gibt es<br />

sogleich mit Comenius und Ratke bedeutende Theoretiker, die sich um das Kerngeschäft<br />

der entstehenden Schulen, den Unterricht und den Lehrer, kümmern. Dass diese Initiativen<br />

im Kontext des 30-jährigen Krieges mit seinen verheerenden Auswirkungen auf die<br />

Gesellschaft und den Einzelnen stehen, ist sicherlich kein Zufall. Es waren dabei weniger<br />

Qualifikationserfordernisse des Arbeitslebens, das noch eine ganze Weile überwiegend agrarisch<br />

geprägt sein wird, sondern eher nationalpolitische Motive, die die Pädagogik beförderten.<br />

Dabei sollte man sich über die demokratische Tendenz trotz des berühmten Slogans<br />

von Comenius („Bildung für alle“) am Beginn der hier betrachteten Epoche keine Illusionen<br />

machen: Über lange Zeit gab es das Bildungsprivileg höherer Stände, <strong>zum</strong>al eine Zuweisung<br />

von Stellen noch lange entsprechend dem Stand erfolgte, in den man hineingeboren<br />

wurde (vgl. Hammerstein 1996). Diese Entwicklung veränderte sich erst im 18. Jahrhundert<br />

und vollendete sich dann im 19. Jahrhundert mit der Übernahme der Verantwortung<br />

durch den Staat für Schule und Hochschule. Nationalerziehung und Erziehung zur<br />

Industriosität waren die Paradigmen um 1800. Im 19. Jahrhundert entfaltete sich in der<br />

sich durchsetzenden bürgerlichen Gesellschaft der Charakter ihrer „Entzweiung“, es ent-

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