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162 KULTURELLE BILDUNG UND BILDUNGSREFORM<br />

schungsstrategien entwickeln. Eine Allgemeine Pädagogik koppelt sich später von der Schulpädagogik<br />

ab, und seit dem 19. Jahrhundert differenziert sich das Gesamtsystem der Erziehungswissenschaft<br />

immer mehr aus, durchaus parallel zu der fortschreitenden Pädagogisierung<br />

immer weiterer Lebensbereiche.<br />

Diese Pädagogisierung – etwa im vorschulischen Bereich („Kindergarten“), im Außerschulischen<br />

(Jugendarbeit, Sozialpädagogik) und in der Fürsorge und Armenhilfe (Sozialarbeit)<br />

– folgt gesellschaftlichen Problemlagen. Denn es ist nicht nur das Subjekt, das mit der<br />

Widersprüchlichkeit der Verhaltenserwartungen Probleme hat: Es gerät zunehmend „die<br />

Gesellschaft“ als Ganzes als Problembereich in den Blick. Bis heute hält sich zwar die Annahme,<br />

dass man gesellschaftliche Probleme lediglich durch bestimmte Erziehungs- und<br />

Bildungsprozesse bei Einzelnen lösen könne. Doch ist die Dialektik von individueller und<br />

gesellschaftlicher Entwicklung durchaus seit Beginn einer systematischen Reflexion über<br />

das Erziehungsgeschehen im Blick. Genau genommen ist dies sogar eine (produktiv zu<br />

nutzende) Erbschaft der Antike. Denn stets hatten etwa Plato und Aristoteles die Polis im<br />

Blick, wenn sie über die notwendige Tugend der Polisbewohner und Verfahren ihrer Entwicklung<br />

nachdachten. Diese Verortung der Probleme des Aufwachsens, genauer: des Hineinwachsens<br />

in eine Gesellschaft, unter der Rubrik „Tugend“ ist bis heute relevant. Denn in<br />

der Tat war und ist eine relevante Verständnisweise von Pädagogik diejenige, die sie als<br />

Disziplin der praktischen Philosophie deutet, die es also sehr stark mit Normen und Werten,<br />

mit Sittlichkeit und Moral, mit dem Einfügen des Individuums in vorgegebene – auch normative<br />

– Strukturen zu tun hat. Man findet hier sogar Gründe für einen immer wieder ausbrechenden<br />

Streit über zentrale pädagogische Aufgaben: Wissensvermittlung oder Wertevermittlung?<br />

Das Problem mit „der Gesellschaft“ als ebenfalls nicht im Selbstlauf entstehendem<br />

Zusammenhang führt im 19. Jahrhundert zur Entstehung einer neuen Disziplin „Soziologie“.<br />

Eine enge Beziehung zwischen Soziologie und Pädagogik ist sofort gegeben. Ablesbar ist<br />

dies an Lehrstühlen mit doppelter, nämlich soziologischer und pädagogischer Aufgabenstellung<br />

(Durkheim, Simmel). Es brechen allerdings auch sofort Konkurrenzen auf – vor allem in<br />

der Weimarer Zeit, ob die Soziologie oder die Philosophie oder doch vielleicht eine experimentelle<br />

Psychologie die wichtigste Bezugsdispziplin für die Pädagogik ist.<br />

Ich greife bei meinen Überlegungen gelegentlich auf ein funktional-strukturalistisches Modell<br />

von Gesellschaft zurück, das die Subsysteme Wirtschaft, Politik, Soziales und <strong>Kultur</strong> unterscheidet.<br />

Damit unterstelle ich nicht, dass die moderne Gesellschaft nur so theoretisch<br />

erfasst werden kann. Im Gegenteil: Es gehört zu den wichtigen Aufgaben der Erziehungswissenschaft,<br />

die unterschiedlichen Vorschläge einer Selbstbeschreibung der Gesellschaft<br />

als Ganzem im Auge zu behalten (vgl. meinen Text „Das Interesse der Moderne an sich<br />

selbst“, 2004). Zu der Konkurrenzsituation über die angemessene Beschreibung von Gesellschaft<br />

gehört der Streit über die Bedeutung der einzelnen Subsysteme, ob also prioritär<br />

die entscheidenden Entwicklungsimpulse aus der Wirtschaft oder der Politik kommen bzw.<br />

ob „Soziales“ oder vielmehr „<strong>Kultur</strong>“ die Leitkategorie (der Pädagogik oder der Soziologie)<br />

sein müsse. Ein solcher Streit spielte auch bei der Durchsetzung eines relativ autonomen<br />

Reflexionssystems „Erziehungswissenschaft“ eine wichtige Rolle. Auf Paul Natorp geht wie<br />

erwähnt der Ansatz zurück, Pädagogik insgesamt vor dem Hintergrund einer Erziehung<br />

zur Gemeinschaft zu verstehen und sie daher als „Sozialpädagogik“ zu begreifen. Der Vorschlag<br />

wird plausibel, wenn man berücksichtigt, dass die Industrialisierung im 19. Jahrhundert<br />

die gewachsenen sozialen Strukturen vollständig zerrüttet und zerstört hat – mit<br />

entsprechenden Folgen für die individuellen Befindlichkeiten. Die „soziale Frage“, also eine

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