MARXISMUS & GEWERKSCHAFTEN - MARX IS MUSS 2013
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108 Gewerkschaften bei Marx und Engels<br />
greift«, und der auf der anderen Seite doch integraler Bestandteil zur Bestimmung<br />
der Lohnhöhe im Verhältnis zwischen Lohnarbeitern und Kapital bleibt,<br />
erzeugt den »Doppelcharakter« der Gewerkschaften. Sie sind beides – »Ordnungsfaktor<br />
und Gegenmacht«. 13 Sie führen einen Kampf gegen das Lohnsystem<br />
und sind zugleich Teil des Lohnsystems.<br />
Diese Idee entwickelte Marx zum ersten Mal ausführlich im Jahr 1865, als er im<br />
Zusammenhang mit den Aktivitäten der neugegründeten 1. Internationalen Arbeiterassoziation<br />
(IAA) eine Reihe wirtschaftswissenschaftlicher Vorträge hielt,<br />
die später als Lohn, Preis, Profit erschienen. Er begegnete damit den Ausführungen<br />
John Westons, einem Anhänger Owens, wonach der gewerkschaftliche<br />
Kampf zu keinem höheren Lebensstandard der Arbeiter führen könne und deshalb<br />
als irrelevant zu betrachten sei.<br />
Marx widersprach vehement. Er fragte zunächst, aus welcher Ursache Lohnkämpfe<br />
erwachsen und nannte eine ganze Reihe möglicher Auslöser. Sei es die<br />
Anpassung an einen veränderten Wert der Arbeitskraft, sei es als Reaktion auf<br />
inflationären Druck oder konjunkturelle Schwankungen, sei es, um eine der steigenden<br />
Arbeitsintensität entsprechende Lohnerhöhung zu erkämpfen: Immer<br />
geht das »Ringen um Lohnsteigerung nur als Nachspiel vorhergehender Veränderungen<br />
vor sich […], als Abwehraktion gegen die vorhergehende Aktion des Kapitals.«<br />
Abstrahiert man von diesen vorhergehenden Bedingungen, dann »geht<br />
ihr von einer falschen Voraussetzung aus, um zu falschen Schlussfolgerungen zu<br />
kommen.« 14 Kurzum: Lohnsystem und Lohnkampf sind unzertrennlich. Das<br />
eine abschaffen zu wollen, ohne sich auf das andere zu beziehen, ist Träumerei.<br />
Marx betonte, wie bei allen anderen Waren auch werde sich der Marktpreis der<br />
Ware Arbeit auf Dauer ihrem Wert anpassen. Aber die Wertbestimmung der Arbeit<br />
ist aufgrund ihrer eigentümlichen Merkmale kompliziert. Ihr Wert beinhaltet<br />
neben rein physischen Elementen ein historisch-gesellschaftliches Element,<br />
»einen traditionellen Lebensstandard« in dem jeweiligen Land, »entspringend aus<br />
den gesellschaftlichen Verhältnissen, in die Menschen gestellt sind und unter denen<br />
sie aufwachsen.« 15 Dieses historische oder gesellschaftliche Element kann in<br />
unterschiedlichem Maße in den Wert der Arbeitskraft eingehen, deshalb sind die<br />
Standardlöhne in verschiedenen Epochen und Ländern variable Größen. Der<br />
Wert der Ware Arbeitskraft ist nicht naturgegeben und nach abstrakten Formeln<br />
zu berechnen, sondern elastisch. In einem gewöhnlichen Industrieland zählen<br />
13<br />
So die Formulierung von Rainer Zoll, der in den 1970er Jahren eine gelungene Arbeit zur »Aktualität<br />
der Marxschen Gewerkschaftstheorie« vorgelegt hat, siehe: Rainer Zoll, Der Doppelcharakter<br />
der Gewerkschaften, Frankfurt 1976 (Suhrkamp). Zoll knüpfte an eine Grundlagenarbeit aus der<br />
Weimarer Republik an: Nelly Auerbach, Marx und die Gewerkschaften, Berlin/Leipzig 1922 (Vereinigung<br />
internationaler Verlagsanstalten).<br />
14<br />
Marx, »Lohn, Preis, Profit«, MEW, Bd. 16 S. 146 f.<br />
15<br />
Marx, MEW, Bd. 16, S. 148.