MARXISMUS & GEWERKSCHAFTEN - MARX IS MUSS 2013

268 Die Klassenkämpfe in Europa
Die Aktionen auf der Iberischen Halbinsel bildeten das Zentrum eines europäischen
Aktionstags, der seinen Niederschlag unter anderem in einem dreistündigen
Streik in Griechenland fand sowie in einer vierstündigen Aktion des italienischen
Gewerkschaftsverbands CGIL, bei der Schulen, Fabriken, Häfen und
Verkehrsnetze stillgelegt und die von etwa 100 Einzelprotesten begleitet wurden;
außerdem gab es Proteste in 130 französischen Städten und Demonstrationen
und Streiks von Bahnarbeitern in Belgien, die in einigen Fällen sogar die Schienen
besetzten.
Isoliert für sich betrachtet könnten diese Auseinandersetzungen als bürokratische
Massenstreiks interpretiert werden, damit einfache Arbeiter etwas »Dampf
ablassen« – dabei aber wirkungslos bleiben und letztendlich ins Leere laufen. 2
Zusammen betrachtet und besonders mit Blick auf die Spannungen, von denen
sie durchzogen sind, können wir sie jedoch als das erkennen, was sie sind: Bestandteile
eines sich entwickelnden Kampfzyklus, der eine reale Bedrohung für
die Machthaber des europäischen Kapitalismus darstellen kann.
Ein neuer Kampfzyklus
Das Jahr 2011 markierte weltweit einen Wendepunkt. Der britische Marxist John
Molyneux interpretierte in einem Artikel vom Juni desselben Jahres die aufkommenden
Kämpfe wie folgt:
Gegenwärtig gibt es international einen Aufschwung von Klassenkämpfen. Es fällt
nicht ganz leicht, diese Art verallgemeinernde Aussage zu treffen, da die Kämpfe unterschiedlichen
Niveaus sind und je nach Land unterschiedliche Formen annehmen.
Im Jahr 2010 spielte Griechenland mit acht Generalstreiks und zahlreichen Großdemonstrationen
und Straßenschlachten die Hauptrolle. Doch auch in Spanien und
Portugal fanden Generalstreiks statt […] und in Frankreich gab es heftige Auseinandersetzungen
über eine Rentenreform, während derer es zu Massenstreiks und riesigen
Mobilisierungen auf der Straße mit bis zu 3,5 Millionen Menschen kam. In Island
wurde die Regierung zu einem Referendum über das IWF-Rettungspaket gezwungen
– und verlor […].
Es folgte […] der Arabische Frühling, der die Kämpfe auf ein völlig neues Niveau
hob. Die tunesische Revolution, die innerhalb eines Monats den seit 23 Jahren
amtierenden Diktator Zine Ben Ali stürzte, führte direkt zur Revolution in
Ägypten, die am 25. Januar [2011] begann und am 11. Februar die Herrschaft
Husni Mubaraks beendete […]. Sie führte wiederum unmittelbar zu Aufständen
2
Siehe zum Beispiel Wall Street Journal, 2012, für eine besonders abschätzige Berichterstattung.
Cliff, 1985, hat eine brillante Studie der verschiedenen Arten von Massenstreiks verfasst, einschließlich
bürokratischer Massenstreiks, die Demonstrationen gewerkschaftlicher Macht darstellen,
strikt von oben kontrolliert werden und wenig Raum für den Kampfgeist der Mitglieder bie -
ten.