MARXISMUS & GEWERKSCHAFTEN - MARX IS MUSS 2013
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156 Globalisierungsmythen und die »New Economy«<br />
funden. 85 Andernorts hat das Gegenteil stattgefunden. Der Hoch- und Tiefbau<br />
ist ein ziemlich eindeutiges Beispiel. Hier haben neue Technologien das Anforderungsniveau<br />
auf die Mitte gedrängt. Die relative Bedeutung von hochqualifizierten<br />
handwerklichen Tätigkeiten auf dem Bau hat abgenommen, aber zugleich<br />
auch die schwere körperliche Arbeit des Hebens und Tragens. 86 Es gibt wenig<br />
Beweise, dass dies einer Organisierung zuträglich gewesen wäre, wo doch der<br />
Bausektor in den meisten Ländern nicht mehr Erfolge als andere Sektoren vorzuweisen<br />
hat und in den USA sogar besonders schlecht dasteht.<br />
Es besteht eine reale Gefahr eines konservativen Zirkelschlusses in den Argumenten<br />
über Qualifikation, Löhne und Organisationsgrad. Wirtschaftswissenschaftler<br />
des Mainstreams behaupten schlicht und einfach, Arbeiter würden für<br />
ihr »Humankapital« entlohnt, für ihre Fertigkeiten. (Da ihre Löhne niedriger sind,<br />
sollten wir wohl annehmen, Frauen und ethnische Minderheiten müssten allesamt<br />
weniger qualifiziert sein als weiße Männer.) Wenn wir uns die Einkommensverteilung<br />
beispielsweise in den USA anschauen, stimmt es, dass das obere und<br />
das untere Fünftel weniger organisiert sind als die drei mittleren Fünftel. 87 Aus<br />
marxistischer Sicht könnte die Erklärungskette aber genau umgekehrt verlaufen<br />
(zumindest was das untere Fünftel betrifft). Die Menschen werden schlecht bezahlt,<br />
weil sie schlecht organisiert sind, und nicht andersherum. Wir wissen, dass<br />
Gewerkschaften Lohnerhöhungen durchsetzen, es überrascht daher nicht, wenn<br />
Niedriglöhner weniger gut organisiert sind als die mittleren Einkommensgruppen.<br />
88 Und es ist tatsächlich so, dass in den USA die gruppeninterne Ungleichheit,<br />
also zwischen Menschen mit ähnlichen Qualifikationen, für 60 Prozent der<br />
Gesamtzunahme an Lohnungleichheit zwischen 1973 bis 2005 verantwortlich<br />
ist. 89<br />
Viele einstmals unqualifizierte, traditionell von Männern verrichtete Tätigkeiten<br />
waren ungesichert und schlecht bezahlt, bis sie stark organisiert wurden. Das gilt<br />
auch für die heutige Zeit, wo Frauen und nichtweiße Arbeiter überproportional<br />
im Niedriglohnsektor beschäftigt sind. Aber die Vorteile der gewerkschaftlichen<br />
Organisierung wiegen für sie umso mehr. In den USA verdienen gewerkschaftlich<br />
organisierte Männer 24 Prozent mehr als nicht organisierte, bei Frauen beträgt<br />
der Abstand 31 Prozent. Für weiße Arbeiter sind es 20 Prozent, für schwarze<br />
32 Prozent und ganze 46 Prozent für Latinos und hispanische Arbeiter. 90 Es<br />
ist daher wenig überraschend, wenn Studien von einer weitaus positiveren Hal-<br />
85<br />
Dicken, 2007.<br />
86<br />
Thieblot, 2002.<br />
87<br />
Mishel, Bernstein und Allegretto, 2007.<br />
88<br />
Mishel, Bernstein und Allegretto, 2007, p188.<br />
89<br />
Mishel, Bernstein und Allegretto, 2007, p200.<br />
90<br />
Berechnet auf Grundlage von Census, Statistical Abstract of the United States: www.census.gov