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MARXISMUS & GEWERKSCHAFTEN - MARX IS MUSS 2013

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222 Das Potenzial der weiblichen Arbeiterklasse<br />

Spätestens seit Beginn des neuen Jahrtausends ist eine neue Entwicklung zu<br />

beobachten, die bisher noch auf einem vergleichsweise geringen Niveau stattfindet<br />

und deshalb oft wenig wahrgenommen wird. Die bisher tonangebenden Industriegewerkschaften<br />

prägen nicht mehr so deutlich das Konfliktgeschehen.<br />

Der Arbeitskampfforscher Heiner Dribbusch weist darauf hin, dass allein zwischen<br />

den Jahren 2006 und 2008 das Arbeitskampfvolumen im Dienstleistungssektor<br />

unübersehbar zugenommen hat und neun Zehntel aller Streiktage auf den<br />

Dienstleistungssektor entfallen. 85 Im Jahr 2009 beteiligten sich nach gewerkschaftlichen<br />

Angaben bundesweit fast 150.000 Beschäftigte des Sozial- und Erziehungsdienstes<br />

in einer mehrwöchigen Tarifauseinandersetzung um die Aufwertung<br />

der Erziehungsberufe an Streikaktivitäten. Im Oktober 2009 kam es<br />

zum ersten bundesweitem Streik der Gebäudereinigerinnen und -reiniger.<br />

Infolge dieser Entwicklung haben sich die Streikenden verändert:<br />

Frauen wurden in der Bundesrepublik als Streikende lange Zeit kaum wahrgenommen.<br />

Die in den 50er Jahren streikenden Textilarbeiterinnen oder die Migrantinnen<br />

von Pierburg-Neuss sind heute fast vergessen. Als Archetyp des Streikenden galt bis<br />

in die 90er Jahre der männliche Arbeiter aus der Druck- und Metallindustrie. Sein<br />

Pendant im öffentlichen Dienst war der Müllwerker und der kommunale Busfahrer.<br />

Dieses Bild ist in jüngster Zeit in mehrfacher Hinsicht in Bewegung geraten. Im Einzelhandel,<br />

im Pflegebereich oder bei den angestellten LehrerInnen bilden Frauen<br />

den größten Teil und harten Kern der Streikenden. 86<br />

Hier tut sich etwas, das Grund zum Optimismus gibt und geradezu herausfordert,<br />

die positiven Ansätze stärker zu betrachten und nach Möglichkeiten zur<br />

Verallgemeinerung zu suchen, um einen Kurswechsel in der Gewerkschaftspolitik<br />

einzuläuten. Und das ist dringend notwendig. Denn die Tendenz fallender<br />

Mitgliederzahlen gepaart mit der steigenden Erwerbstätigkeit der Frauen hat insgesamt<br />

zu einem drastischen Rückgang des gewerkschaftlichen Organisationsgrades<br />

geführt. 1992 waren in Westdeutschland noch 18,5 Prozent der lohnabhängig<br />

beschäftigten Frauen gewerkschaftlich organisiert, 2010 nur noch 13,1 Prozent.<br />

85<br />

Dribbusch, Heiner: Streik-Bewegungen, in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, 2009/Vol.<br />

22, H. 4, S. 59.<br />

Diese Entwicklung ist nicht ohne die ökonomischen Veränderungen der vergangen Jahrzehnte<br />

zu verstehen. Mit der Expansion des Dienstleistungssektors haben sich viele Berufe gerade im<br />

Sozial- und Pflegebereich professionalisiert, werden nicht mehr ehrenamtlich oder karitativ ausgeübt.<br />

Hinzukommen Konzentrationstendenzen, die die Beschäftigungsstruktur beeinflussen. So<br />

sind im Handel seit den 1970er Jahren große Ketten mit tausenden oder zehntausenden Beschäftigten<br />

entstanden. Viele Angestelltenberufe verlieren seit langer Zeit ihren vor noch hundert Jahren<br />

gegenüber den Arbeitern privilegierten Status und nähern sich diesen bei den Arbeitsbedingungen<br />

an. Diese Rahmenbedingungen, die Werdung von bestimmten Berufsgruppen, haben<br />

den Nährboden für eine gewerkschaftliche Organisierung gelegt.<br />

86<br />

Ebenda.

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