MARXISMUS & GEWERKSCHAFTEN - MARX IS MUSS 2013
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82 Von Führung und Basis<br />
Einen weiteren Hinweis, wie das Verhältnis von Klassenkämpfen und ökonomischer<br />
Struktur bzw. Rahmenbedingungen sich gestaltet, liefert Beverly Silver in<br />
ihrer Großstudie über Arbeiterunruhen (labor unrest) und Globalisierung in den<br />
letzten 150 Jahren. 5 Sie stellt fest, dass es zwei ökonomisch-strukturelle Quellen<br />
von Arbeitermacht gibt, die sich im Laufe ihrer Untersuchung als wesentliche<br />
Faktoren erweisen, Konflikte zu befördern. Beide fasst sie unter dem Begriff<br />
»struktureller Macht« zusammen. 6 Die eine Form dieser Macht besteht in der<br />
»Marktmacht« von Teilen oder der gesamten Arbeiterklasse, die sich entweder<br />
aus allgemeinem Arbeitskräftemangel wegen einer Hochkonjunktur oder aus<br />
speziellen Qualifikationen eines Teils der Arbeiterklasse ergibt.<br />
Eine zweite Quelle struktureller Macht, die Beverly Silver »Produktionsmacht«<br />
nennt, ergibt sich aus der Art, wie Gruppen von Arbeitern ihre Stellung in einem<br />
hochintegrierten Produktionsprozess nutzen können: »Produktionsmacht dagegen<br />
entwickeln Arbeiterinnen und Arbeiter in hochintegrierten Produktionsprozessen,<br />
die durch örtlich begrenzte Arbeitsniederlegungen an Schlüsselstellen in<br />
einem Umfang gestört werden können, der weit über die Arbeitsniederlegung<br />
selbst hinausgeht. Diese Macht zeigt sich, wenn ganze Fließbänder durch Arbeitsniederlegungen<br />
gestoppt und ganze Konzerne, die von just-in-time-Zulieferung<br />
abhängen, durch Eisenbahnstreiks zum Stillstand gebracht werden.« 7 Silver<br />
weist nach, dass von den Automobilarbeitern in jedem Land, in dem sich die Automobilindustrie<br />
ansiedelte, früher oder später Arbeiterunruhen ausgingen. Das<br />
Fertigungsband, das von einer Minderheit von Arbeitern unterbrochen werden<br />
kann, um Fabriken stillzulegen und (weltweite) Fertigungsketten zu unterbrechen,<br />
steht hier idealtypisch den Textilarbeitern gegenüber, die meist nur alleine<br />
an einer Nähmaschine arbeiten und deren Arbeitsplatz jederzeit ohne größeren<br />
Aufwand verlagert werden kann. 8<br />
Umstellung der Unternehmen auf Erweiterung der Produktion oder wenigstens Unterbrechung<br />
der Entlassungen steigern unverzüglich die Widerstandskraft und die Ansprüche der Arbeiter«<br />
(L. Trotzki. Gesammelte Werke, Bd.1, Frankfurt/M. 1971, S.395 f.)<br />
5<br />
Silver, Beverly: Forces of Labor. Arbeiterbewegungen und Globalisierung seit 1870. Assoziation<br />
A Berlin 2003. Herangehensweise erklären.<br />
6<br />
Diese Definition geht auf Erik Olin Wright zurück. Dieser unterscheidet Organisationsmacht<br />
(»associational power«), »die aus der Bildung kollektiver Arbeiterorganisationen entsteht«, und<br />
eben: »'Strukturelle Macht' (»structural power«), dagegen ist die Macht, die Arbeitern 'einfach aus<br />
ihrer Stellung (...)im ökonomischen System erwächst.'« Silver S.30<br />
7<br />
Silver S.31<br />
8<br />
Silver beobachtet in Zusammenhang mit der Produktionsmacht unterschiedliche Formen der<br />
Arbeiterorganisierung. Während die Arbeiter mit viel Produktionsmacht ihre Stellung im Produktionsprozess<br />
nutzen könnten und daraus Selbstbewusstsein ziehen, sind Arbeiter etwa in der<br />
Textilindustrie viel stärker auf die Organisationsmacht ihrer Gewerkschaft bzw. auf sozialstaatlich-gesetzgeberische<br />
politische Kräfteverhältnisse angewiesen,.