MARXISMUS & GEWERKSCHAFTEN - MARX IS MUSS 2013

Die Klassenkämpfe in Europa 269
in Libyen, Bahrain, Jemen und Syrien. Dann kam […] der 15. Mai in Spanien und
die Besetzung der Puerta del Sol in Madrid. Die Proteste weiteten sich mit enormer
Geschwindigkeit auf andere Städte wie Barcelona und Sevilla aus. […] Während
ich dies schreibe, erhalte ich Nachricht von 50.000 bis 100.000 Menschen
auf den Straßen Mailands, die die Niederlage Berlusconis in ihrer Stadt feiern,
während in Ägypten am 27. Mai Hunderttausende auf der Straße waren und die
Revolution weiter voranschreitet. 3
Molyneux verglich diese Ereignisse mit vergangenen Zyklen von Arbeitskämpfen.
Der erste Zyklus, im Jahr 1848, bestand aus einer Reihe von Aufständen in
Frankreich, Deutschland, Ungarn, Griechenland, Italien, der Schweiz und in Österreich
sowie den Massenmobilisierungen der Chartisten in Großbritannien.
Der zweite war die revolutionäre Woge nach dem Ersten Weltkrieg: im Jahr 1917
die russische Revolution, 1918 bis 1923 die deutsche Revolution und revolutionäre
Bewegungen in Italien, Ungarn, Österreich und Finnland. Die dritte bestand
aus den Rebellionen Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre, darunter der
französische Generalstreik von 1968, der italienische »heiße Herbst« von 1969,
die Schlacht um Chile 1973 und die portugiesische Revolution von 1974, dazu
die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung und eine Streikwelle in Großbritannien,
die die Tory-Regierung zu Fall brachte. 4
Ob der gegenwärtige globale Zyklus an seine Vorgänger heranreichen wird,
bleibt abzuwarten. Sicherlich erleben wir bisher keine anhaltenden Arbeitskämpfe;
die Aktionen in Europa sind eher Einzelereignisse, und selbst in Ägypten, wo
eine Streikbewegung 2011 erheblich zum Sturz Mubaraks beitrug, sind der beständigste
Faktor die Straßenproteste. 5 Dennoch hat sich die Lage deutlich verändert.
Und ob dieser Prozess weitergeht, hängt davon ab, ob unsere Herrschenden
einen Weg finden, die von ihnen gelenkten Gesellschaften zu stabilisieren und
zumindest einen Teil derer zu schlagen, die sich ihnen widersetzen, um die übrigen
unterwerfen zu können. Die Bewegungen mussten zwar Rückschläge hinnehmen,
wurden aber im Allgemeinen nicht geschlagen, darüber hinaus ist die
derzeitige Krise ein Faktor der gesellschaftlichen Destabilisierung und beschränkt
den Handlungsspielraum unserer Herrschenden.
Mit diesem Artikel soll den Spannungen und Komplexitäten des Widerstands
nachgegangen werden, der sich in Westeuropa entwickelt hat. Zuvor ist es allerdings
nötig, auf die Lehren früherer Widerstandszyklen einzugehen.
3
Molyneux, 2011.
4
Die gelungenste Darstellung der dritten Kampfwelle findet sich bei: Harman, 1998.
5
Eine exzellente Darstellung der Spannungen innerhalb der ägyptischen Revolution bietet: Marfleet,
2013.