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MARXISMUS & GEWERKSCHAFTEN - MARX IS MUSS 2013

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Der aufhaltsame Abstieg 13<br />

Marxistische Kritiker sahen Verlauf und Resultat der Streikbewegung noch<br />

skeptischer. In seiner Einschätzung, dass der Kampf trotz formaler Verkürzung<br />

der Arbeitszeit auf zunächst 38,5 Stunden eine Niederlage war, verwies Horst<br />

Haenisch auf einen Zusammenhang, der sich in den Jahren danach in seiner ganzen<br />

Tragweite zeigte: »Fragen, die herkömmlich in die Tarifautonomie (der Gewerkschaften,<br />

d. V.) fallen, werden nun den Betriebsräten zugeschoben, offenbar<br />

in dem Bewusstsein, das sie dort besser aufgehoben sind. Für die Gewerkschaftsbewegung<br />

ist dies mit einer Schwächung verbunden […] Indem die Arbeitszeitregelung<br />

durch die Flexibilisierung praktisch den Betriebsräten überantwortet wird,<br />

wird sie zugleich der Friedenspflicht unterworfen. Die Gewerkschaft hat in diesem<br />

Punkt auch formell auf das Streikrecht verzichtet!« 13<br />

Die IG-Metall-Führung hatte 1984 versucht, ihr Flexibilisierungsangebot an<br />

die Arbeitgeber den eigenen Mitgliedern unter dem Begriff der »individuellen<br />

Zeitsouveränität« schmackhaft zu machen. Flexible Arbeitszeiten seien, so ihr<br />

Argument damals, auch im Interesse der Belegschaften mit ihren sehr unterschiedlichen<br />

und individuellen Zeitbedürfnissen. Eine Untersuchung von 1997<br />

über die »Reform des Flächentarifvertrags« beschreibt die Realität, die sich unter<br />

dem Etikett der individuellen Zeitsouveränität in den Betrieben entwickelt hatte:<br />

»Dieser Konflikt zwischen der von der IG Metall gewollten Stärkung individueller<br />

Zeitsouveränität einerseits und der von den Arbeitgebern verlangten schrankenlosen<br />

Verfügung über die Arbeitszeit andererseits bestimmte in den letzten<br />

Jahren die Umsetzung der tariflichen Arbeitszeitregelungen in den Betrieben.«<br />

Und: Dieser Konflikt sei »nicht gerade zugunsten der Arbeitnehmerinteressen<br />

entschieden worden.« Ihre Befragung unter Betriebsräten der Metallindustrie<br />

habe »nach einhelliger Auffassung aller Gesprächspartner« gezeigt, dass sich »in<br />

den Auseinandersetzungen um die Flexibilisierung der Arbeitszeit die Interessen<br />

der Unternehmer auf breiter Front durchgesetzt« hätten. 14<br />

Arbeitszeitflexibilisierung im Sinne der Schaffung von Arbeitszeitkorridoren<br />

führte zur Einrichtung von individuellen Arbeitszeitkonten (Ausgleichszeiträume).<br />

1999 verfügten 35 Prozent aller abhängig Beschäftigten über solche Konten,<br />

2011 waren es bereits 54 Prozent. 15<br />

Die bereits erwähnte Studie von 1997 beschrieb die Folgen der Einrichtung<br />

solcher individueller Zeitkonten. Zum einen würden die Mitbestimmungsrechte<br />

und Eingriffsmöglichkeiten des Betriebsrates in Fragen von Überstunden und in<br />

13<br />

Horst Haenisch, Klassenkampf, Zeitschrift der Sozialistischen Arbeitergruppe, Nr. 23, 8/9 1984.<br />

Die Arbeitgeberverbänge werteten das Ergebnis schon damals »nicht als Einstieg in die 35-Stundenwoche,<br />

sondern als Ausstieg aus der generellen Arbeitszeitverkürzung.« (Kittner, a.a.O.) Genauso<br />

so ist es leider eingetreten.<br />

14<br />

H. Bergmann, E. Brückmann, H. Dabrowski, »Reform des Flächentarifvertrags«? Hamburg<br />

1998, S. 27<br />

15<br />

Institut für Arbeitsmarkts- und Berufsforschung, IAB-Kurzbericht 3/<strong>2013</strong>

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