MARXISMUS & GEWERKSCHAFTEN - MARX IS MUSS 2013
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120 Die Arbeiterklasse heute<br />
standsgesellschaften« und ähnlichem gesprochen. In den 1950er Jahren verabschiedete<br />
sich die SPD mit dem »Godesberger Programm« von der Arbeiterklasse,<br />
um eine »moderne Volkspartei« statt eine »Klassenpartei alten Zuschnitts«<br />
sein. Eine Abkehr von der Arbeiterklasse oder auch die Theorie des Endes der<br />
Arbeiterklasse erfreuen sich seit Jahrzehnten anhaltender Popularität. Ob es Helmut<br />
Schelsky mit dem Begriff der »nivellierten Mittelstandsgesellschaft« in den<br />
1950er Jahren 5 oder der französische Sozialist André Gorz mit der Broschüre<br />
»Abschied vom Proletariat« zu Beginn der 1980er Jahre 6 war, immer wieder befand<br />
sich die Arbeiterklasse nach diesen Theorien in Auflösung oder war zu einer<br />
marginalen Größe zusammengeschrumpft. Diese Ideen setzten sich zunehmend<br />
auch in den traditionellen Organisationen der Arbeiterklasse selbst durch. So begannen<br />
die sogenannten »Modernisierer« in der SPD in den 1990er Jahren der<br />
Theorie von der »Zweidrittelgesellschaft« zu folgen, nach der es zwei Drittel der<br />
Bevölkerung relativ gut geht und ein Drittel abgehängt ist. Die Sozialdemokratie<br />
wollte sich vor allem auf das mittlere Drittel konzentrieren, das später zu Schröders<br />
»neuer Mitte« wurde. Von einer gemeinsamen Interessenslage des unteren<br />
Teils der Gesellschaft mit dem mittleren wurde nicht mehr ausgegangen.<br />
Auch in den Gewerkschaften begannen »Modernisierer« ihre Konzentration<br />
fast ausnahmslos auf die kleiner werdenden Stammbelegschaften in den großen<br />
Industriebetrieben zu richten 7 und ansonsten einen Gegensatz zwischen Industrieproletariat<br />
und Angestellten zu sehen. Wobei der Organisationsaufwand zunehmend<br />
auf letztere konzentriert werden sollte.<br />
Vielfach hängen diese Theorien und Einschätzungen damit zusammen, dass<br />
weniger die Rolle des Individuums im Produktionsprozess und die daraus resultierende<br />
Position gegenüber dem Klassenantagonisten im Mittelpunkt der Betrachtung<br />
stand, sondern vielmehr ein idealisiertes Bild des Arbeiters als männlichem<br />
Beschäftigten mit Blaumann und schweren Werkzeugen oder der Arbeiterin<br />
in der Textilfabrik. So wird vielfach in Anlehnung an Marx’ Definition von<br />
Lohnarbeit im Kapital 8 ein Arbeiter nur dann als solcher definiert, wenn er direkt<br />
für die Kapitalisten profitabel ist. Wer die Arbeiterklasse so definiert, wird insbesondere<br />
in den westlichen Industrieländern bei oberflächlicher Betrachtung einen<br />
Rückgang der Arbeiterklasse zu verzeichnen haben.<br />
Für Marx sind das Verhältnis der Menschen zu den Produktionsmitteln und die<br />
Rolle des einzelnen bei der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit entschei-<br />
5<br />
Vgl.: Schelsky, Helmut 1955: Wandelungen der deutschen Familie in der Gegenwart. Darstellung<br />
und Deutung einer empirisch-soziologischen Tatbestandsaufnahme, Stuttgart: Lucius & Lucius<br />
6<br />
Gorz, André 1980: Abschied vom Proletariat, Frankfurt am Main: Europäische Verlagsanstalt<br />
7<br />
Dies hat sich in den letzten Jahren wieder ein wenig verbessert, da erkannt wurde, dass beispielsweise<br />
Leiharbeit einen erheblichen Angriff auf die Stammbelegschaften darstellen kann.<br />
8<br />
»Nur der Arbeiter ist produktiv, der Mehrwert für den Kapitalisten produziert oder zur Selbstverwertung<br />
des Kapitals dient.« K. Marx, Kapital I, MEW 23, 532.