MARXISMUS & GEWERKSCHAFTEN - MARX IS MUSS 2013
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Von Führung und Basis 85<br />
gierter Arbeiter, mal eine Schicht von Funktionären der Gewerkschaften gemeint<br />
war, deren eigene materielle Interessen sich gegenüber den Interessen der gesamten<br />
Klasse verselbstständigten. Aus dem Jahr 1892 zurückblickend relativiert Engels<br />
die von Marx und ihm in früheren Jahren aufgestellte These von der Existenz<br />
einer gesonderten Schicht privilegierter Arbeiter. Zwar hält er daran fest,<br />
dass »nur eine kleine privilegierte, geschützte Minorität dauernde Vorteile hatte.«<br />
Aber »die Wahrheit« sei: »Solange Englands Industriemonopol dauerte, hat die<br />
englische Arbeiterklasse bis zu einem gewissen Grad teilgenommen an den Vorteilen<br />
dieses Monopols. Diese Vorteile wurden sehr ungleich unter sie verteilt!<br />
Die privilegierte Minderheit sackte den größten Teil ein, aber selbst die große<br />
Masse hatte wenigstens dann und wann vorübergehend ihren Teil«. 12<br />
In der Folge von Marx und Engels entwickelten sich zwei Stränge der marxistischen<br />
Theoriebildung in der materialistischen Analyse der Gewerkschaften. Die<br />
eine Richtung entwickelte eine Theorie der Arbeiteraristokratie, nach der Teile<br />
oder die gesamte Arbeiterklasse der hochentwickelten, imperialistischen Staaten<br />
von hohen Extraprofiten des Kapitals etwas abbekamen und so an das System<br />
politisch gebunden werden konnten, sich dauerhaft mit dem Kapital versöhnten<br />
und und deswegen auch für sozialistische Politik und Ideen nicht empfänglich<br />
waren. Diese Theorie, die sich auch bei Lenin und anderen Theoretikern der III.<br />
Internationale findet, entbehrt jedoch der empirischen Grundlage und trug in<br />
den nach 1918 neu entstehenden Kommunistischen Parteien der III. Internationale<br />
zu einer Unterschätzung der Gewerkschaften im Klassenkampf bei. 13<br />
12<br />
Engels, Vorwort zur 2. deutschen Auflage der »Lage der arbeitenden Klasse«, MEW, Bd. 22, S.<br />
328.<br />
13<br />
Die Position führt zur Unterschätzung der Kraft des Reformismus und seines Einfluss auf die<br />
gesamte Klasse und begünstigt ultralinke Positionen gegenüber den Gewerkschaften, die als Organisation<br />
der Aristokratie betrachtet werden, die Räte wurden dementsprechend in der ersten<br />
Revolutionszeit bis 1920 als Alternative zu den (reformistischen) Gewerkschaften gesehen. Fritz<br />
Sternberg hat in seinem Buch »Kapitalismus und Sozialismus vor dem Weltgericht« Hamburg<br />
1951, S. 164 ff. auf den Irrtum Lenins in diesem Punkt hingewiesen, er schreibt: »In den Jahr -<br />
zehnten vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs hat sich nicht nur der Lebensstandard einer<br />
verschwindenden Minorität unter den Arbeitern, einer Arbeiteraristokratie verbessert, sondern<br />
der Lebensstandard der gesamten Arbeiterschaft in allen großen Industrienationen.« In Fritz<br />
Sternberg, Kapitalismus und Sozialismus vor dem Weltgericht, Hamburg 1951, S. 166. Sternberg<br />
leitete daraus eine Unterschätzung der Kraft des Reformismus durch Lenin für Westeuropa ab.<br />
Lenins Versuch, die Mehrheit der Klasse von ihrer korrupten, bestochenen Aristokratie zu trennen,<br />
sei daher von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. »Es war eine völlig falsche Einschätzung<br />
der Epoche, die ihn dazu führte, die Spaltung der europäischen Arbeiterklasse zu organisieren.«<br />
( S.157) Sternbergs Kritik führt ihn direkt zur Sozialdemokratie, seine richtige Kritik<br />
an der Aristokratie-These macht ihn blind für eine differenzierte Position. Erstens haben nicht<br />
alle Arbeiter gleich vom imperialistischen Aufschwung gewonnen, zweitens hat der Krieg dafür<br />
gesorgt, dass die vor dem Krieg gewonnen Reformen wieder zunichte gemacht wurden und das<br />
Leben für die Soldaten an der Front und auch für die zivile Arbeiterklasse in den Betrieben uner-