MARXISMUS & GEWERKSCHAFTEN - MARX IS MUSS 2013
MARXISMUS & GEWERKSCHAFTEN - MARX IS MUSS 2013
MARXISMUS & GEWERKSCHAFTEN - MARX IS MUSS 2013
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
202 Das Potenzial der weiblichen Arbeiterklasse<br />
tung innerhalb der männlichen Arbeiterschaft gegenüber der Frauenarbeit 25 war<br />
auch eine Reaktion auf die Auflösungstendenzen der Kleinfamilie. Die Industrialisierung<br />
mit der Auflösung der alten Handwerks- und Familienstrukturen und<br />
einem großen Druck aus sozialer Not zur Kinder- und Frauenarbeit zerstörte<br />
diese scheinbar heile Welt.<br />
Ein Gegengewicht zu dieser rückwärtsgewandten Richtung bildete ein Teil der<br />
Arbeiterbildungsvereine, aus denen später die Sozialdemokratische Partei (SPD)<br />
hervorgehen sollte und an deren Spitze August Bebel stand. Bebel gehörte anfangs<br />
der liberalen Partei an, entwickelte sich dann aber zum Sozialisten und verfasste<br />
1879 das damals bahnbrechende Buch »Die Frau und der Sozialismus«. 26<br />
Der zunächst lose Zusammenschluss der Arbeiterbildungsvereine unterstütze die<br />
wenigen Vereinigungen von Arbeiterinnen wie etwa der Näherinnen oder<br />
Dienstboten und verlangte auf seinem ersten Vereinstag 1865, Arbeiterinnen in<br />
die gemeinsame Organisation der Arbeiter einzubeziehen. 27 Sie stellten sich damit<br />
in die Tradition der »Arbeiterverbrüderung« der deutschen Revolution<br />
1848/49 – einem Zusammenschluss verschiedener Arbeitervereine, der erstmals<br />
ein übergreifendes Interesse von Meister und Gesellen und von arbeitenden<br />
Frauen und Männern gegenüber dem Kapital betonte. 28<br />
1869 gründete sich im sächsischen Crimmitschau die erste gemeinsame Organisation<br />
von Arbeiterinnen und Arbeitern: die »Internationale Manufaktur-Fabrik<br />
und Handarbeiter-Gewerksgenossenschaft«. Ein Sechstel der 6.000 bis 7.000<br />
Mitglieder waren Frauen, denen in der Gewerksgenossenschaft die gleichen<br />
25<br />
Vgl. Dazu auch Hoffrogge, Ralf: Sozialismus und Arbeiterbewegung in Deutschland – von den<br />
Anfängen bis 1914, Stuttgart 2011, vor allem das Kapitel »Die Frau und der Sozialismus: Gendertrouble<br />
in der Arbeiterbewegung« (S. 90–97).<br />
26<br />
In diesem Buch, das dutzende Auflagen erlebte, verband Bebel die Frauenbefreiung mit der<br />
Klassenfrage. Er begründete, warum der Kampf um die Befreiung der Frau und der Kampf um<br />
den Sozialismus zusammen gehören. In der Einleitung schrieb er:<br />
»Es handelt sich also nicht nur darum, die Gleichberechtigung der Frau mit dem Manne auf dem<br />
Boden der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung zu verwirklichen, was das Ziel der<br />
bürgerlichen Frauenbewegung ist, sondern darüber hinaus alle Schranken zu beseitigen, die den<br />
Menschen vom Menschen, also auch das eine Geschlecht von dem anderen, abhängig machen.<br />
Diese Lösung der Frauenfrage fällt mit der Lösung der sozialen Frage zusammen. Es muß daher,<br />
wer die Lösung der Frauenfrage in vollem Umfange erstrebt, mit jenen Hand in Hand gehen,<br />
welche die Lösung der sozialen Frage als Kulturfrage für die gesamte Menschheit auf ihre Fahne<br />
geschrieben haben, das sind die Sozialisten.<br />
Von allen Parteien ist die sozialdemokratische Partei die einzige, welche die volle Gleichberechtigung<br />
der Frau, ihre Befreiung von jeder Abhängigkeit und Unterdrückung in ihr Programm aufgenommen<br />
hat, nicht aus agitatorischen Gründen, sondern aus Notwendigkeit. Es gibt keine Befreiung<br />
der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichheit der Geschlechter.«<br />
27<br />
Losseff-Tillmanns, Gisela (Hrsg.): Frau und Gewerkschaft – Dokumentensammlung, Frankfurt<br />
am Main 1982, S. 22f.<br />
28<br />
Losseff-Tillmanns, Frauenemanzipation und Gewerkschaften, S. 26-29.