MARXISMUS & GEWERKSCHAFTEN - MARX IS MUSS 2013
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172 Streiks in Deutschland – ein neuer Aufschwung?<br />
fast nie, auch Übergriffe der Polizei sind hierzulande deutlich seltener als in anderen<br />
Ländern.<br />
Zu beobachten ist: Streiks werden dann von den Beschäftigten am intensivsten<br />
geführt und erlebt, wenn sie nicht als Teil einer Verhandlungsroutine wahrgenommen<br />
werden, wo ein Warnstreik unter dem Motto »Alle Jahre wieder« begangen<br />
wird. Ein Erzwingungsstreik ist für viele Beschäftigten häufig der erste in ihrem<br />
Berufsleben. Die Erfahrung, den entscheidenden Schritt getan zu haben, das<br />
Direktionsrecht zu durchbrechen und einfach aufzuhören zu arbeiten – das ist<br />
das subversive Moment des Streiks. Viele Streikende haben oft noch ihre private<br />
Agenda, es geht dann beispielsweise auch darum, dem Chef oder der Chefin zu<br />
zeigen, »wir können auch anders«. Das verliert sich, wenn die Arbeitsniederlegung<br />
zu einem eher symbolischen Ritual wird. Dann schleift sich der Streik ab.<br />
Wie der Arbeitskampf läuft, hängt aber auch vom Management ab. Wer sich<br />
aktuell den Streik bei Neupack ansieht, merkt sofort, dass es auch Unternehmen<br />
gibt, die alle Register ziehen und im Übrigen keineswegs nur ökonomisch rational,<br />
sondern auch ideologisch prinzipiell auf Streiks reagieren. Da wird der Streik<br />
zum Kampf darum stilisiert, wer im Betrieb das alleinige Sagen hat.<br />
Ein erfolgreicher Streik hat idealtypisch drei Voraussetzungen. Erstens Mächtigkeit:<br />
Die kann man daran festmachen, wie viele Leute organisiert sind. Wobei<br />
die Mächtigkeit nicht nur Voraussetzung, sondern auch Ergebnis eines Arbeitskampfes<br />
sein kann.<br />
Zweitens Mobilisierungsfähigkeit: Sind die Beschäftigten bereit zu streiken?<br />
Sowohl die Mitglieder als auch die anderen Beschäftigten?<br />
Drittens Arbeitskampfwirksamkeit: übt der Streik den wirtschaftlichen und<br />
oder politischen Druck aus, der mit ihm beabsichtigt ist? Viel hilft hier nicht immer<br />
viel. Gerade längere Streiks sind oft ein Zeichen dafür, dass sich auch das<br />
Unternehmen auf den Streik eingestellt hat.<br />
Die wirksamsten Streiks sind also die, welche die Gegenseite wirklich ökonomisch<br />
treffen, so dass diese sich gezwungen sieht, schnell ein Verhandlungsangebot<br />
zu machen. Am wirkungslosesten sind Streiks, bei denen die Beschäftigten<br />
an einem toten Punkt sind, sie nichts mehr nachlegen können, und die Gegenseite<br />
kann es irgendwie gerade noch aushalten. Dann zieht es sich hin und es muss<br />
kein gutes Ergebnis für die Belegschaft rauskommen.<br />
Viele Streiks sind irgendwo dazwischen. Und da gibt es nicht nur die eine passende<br />
Strategie. So eine Suchbewegung gab es zum Beispiel im bundesweiten<br />
Streik des Einzelhandels 2007/8. Der ging über ein Jahr lang. Es gab viel verstreute<br />
einzelne Aktionen, die die Arbeitgeber und auch die Öffentlichkeit nur<br />
am Rande wahrnahmen. Zum Abschluss eines neuen Tarifvertrags kam es erst,<br />
als in Baden-Württemberg in einigen ausgewählten Einzelhandelsbetrieben zum<br />
Dauerstreik übergegangen wurde. Dabei wurde teilweise die schwierige Situation