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MARXISMUS & GEWERKSCHAFTEN - MARX IS MUSS 2013

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58 Strategien gewerkschaftlicher Erneuerung<br />

1974 dieses gewandelte Verhältnis zwischen Betriebsrat, Vertrauensleutekörper<br />

und Gewerkschaft für den Metallbereich folgendermaßen: Bis 1964 war es der<br />

IG Metall gelungen, Vertrauenskörper in über 4600 Betrieben aufzubauen. Die<br />

Betriebsräte seien dennoch »weiterhin der zentrale Bezugspunkt der Gewerkschaften<br />

im Betrieb«. In einer Arbeitsanleitung des Hauptvorstandes hieß es, dass<br />

der VK »den Betriebsrat ergänzt.«<br />

Die Betriebsräte »stellten und stellen aus der Sicht der Gewerkschaftsführung<br />

[…] vor allem den verlängerten Arm der Gewerkschaft und des gewerkschaftlich<br />

organisierten Betriebsrates dar«. 40<br />

Die Vertrauensleutekörper haben »die Aufgabe, die Politik der IG Metall im<br />

Betrieb zu erläutern und zu vertreten, neue Mitglieder zu werben, die Tarifverträge<br />

zu erklären und […] Probleme an die zuständige Ortsverwaltung oder an den<br />

Betriebsrat weiterzugeben.« 41 Aus der Sicht der Gewerkschaftsführung sind Mitgliederwerbung<br />

und Sicherung der Loyalität der Mitglieder zentral. Sie sind ein<br />

wichtiger Transmissionsriemen der Gewerkschaft in die Belegschaft hinein.<br />

Den Umschlag von passiver Gefolgschaft in aktive Interessenvertretung der<br />

Mitglieder gegenüber Betriebsrat und Gewerkschaftsführung sieht Schmidt dadurch<br />

verursacht, dass die Vertrauensleute selbst zunehmend unter Druck einer<br />

selbstbewussteren Mitgliedschaft geraten sind. Gerade ihre Basisnähe macht sie<br />

aber für solchen Druck viel eher empfänglich als die oberen, bürokratisch abgeschotteten<br />

gewerkschaftlichen Führungsgremien. Und so kommt Schmidt zu der<br />

Einschätzung, dass bis 1974, »eine immer größere Zahl von Vertrauensleuten<br />

den Druck, unter den sie geraten sind, nach oben weitergeben und so die auf sozialpartnerschaftliche<br />

Kooperation ausgerichtete Politik der Gewerkschaftsspitze<br />

gefährden. Die Führung der IG Metall reagierte wiederum darauf mit dem Versuch,<br />

den Spielraum der Vertrauensleute […] einzuschränken.«<br />

Die gewerkschaftspolitischen Auswirkungen waren riesig. So wurden bei den<br />

Betriebsratswahlen 1972 nach Angaben des DGB fast die Hälfte aller Betriebsräte<br />

erstmalig als neu in den Betriebsrat gewählt, eine solche Erneuerungsquote<br />

hatte es bei keiner Betriebsratswahl seit 1949 gegeben. In einer Reihe von Großbetrieben<br />

entstanden linke Listen bei den Betriebsratswahlen 1972, die aus dem<br />

Stand ein Drittel oder mehr der Sitze erobern konnten. Bei wichtigen Urabstimmungen<br />

über Tarifvereinbarungen (z. b. Stahlindustrie) empfahlen Vertrauenskörper<br />

ihren Belegschaften mit Nein abzustimmen, obwohl die Gewerkschaftsführung<br />

eine Annahme gefordert hatte.<br />

1972 tauchte das Protokoll eines Geheimtreffens von IG Metall-Arbeitsdirektoren<br />

und Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmerseite der Stahlindustrie auf,<br />

in dem diese sich beim Vorstand beschwerten, dass Vertrauensleute »sich anmaß-<br />

40<br />

Eberhard Schmidt, ». 130<br />

41<br />

S.131

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