MARXISMUS & GEWERKSCHAFTEN - MARX IS MUSS 2013
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322 Zu Theorie, Geschichte und Funktion des Rassismus<br />
Diese Definition beinhaltet eine meines Erachtens falsche Prämisse, indem sie<br />
davon ausgeht, dass zunächst – das heißt unabhängig von rassistischen Ideologien<br />
– Gruppen von Menschen existierten, die durch bestimmte Eigenschaften,<br />
Menschen »anderer Hautfarbe«, »fremder Herkunft« oder »aus anderen Kulturen«,<br />
identifizierbar wären. Ähnlich wie im oben erwähnten Verständnis von Rassismus<br />
als »Rassendiskriminierung« könnte hier von Rassismus gesprochen werden,<br />
wenn diese vorgeblich prä-existenten Menschengruppen diskriminiert, abgewertet<br />
oder »unterdrückt« würden.<br />
Gegen diese Auffassung steht die adäquatere Ansicht, dass rassistisch unterdrückte<br />
Gruppen nicht unabhängig von Rassismus existieren und von diesem<br />
dann hierarchisiert werden. Im Gegenteil sind die Kategorisierungen und ihre<br />
Kriterien, die Einteilung von Menschen in bestimmte Gruppen, selbst schon Teil<br />
der rassistischen Ideologien. Andersrum formuliert: Ein wesentlicher Aspekt von<br />
Rassismus ist, dass seine »Objekte«, zum Beispiel »die Schwarzen«, »die Juden«,<br />
»die Ausländer«, »die Muslime« und so weiter, ständig produziert werden müssen.<br />
Der marxistische Rassismusforscher Robert Miles hat dafür, in Anlehnung an<br />
Frantz Fanon, den Begriff »Rassifizierung« oder »Rassenkonstruktion« (»racialisation«)<br />
geprägt. 10<br />
Darunter versteht er einen Prozess, in dem »soziale Beziehungen dadurch<br />
strukturiert werden, dass biologische Merkmale die Bedeutung bekommen, unterschiedliche<br />
soziale Gruppen zu konstruieren«. Der Begriff verweise also »auf<br />
einen Vorgang der Kategorisierung und Repräsentation, in dem ein Anderer<br />
(normalerweise aber nicht ausschließlich) somatisch definiert wird. Die definierte<br />
Gruppe wird (implizit oder sogar explizit) für eine von Natur aus existierende<br />
Gruppe gehalten, die sich biologisch reproduziert«. 11<br />
Gerade in Bezug auf antimuslimischen Rassismus ist es wichtig, diesen Gesichtspunkt<br />
in die Analyse mit einzubeziehen. Antimuslimischer Rassismus um-<br />
10<br />
Vgl. Miles, Robert »Bedeutungskonstitution und der Begriff des Rassismus« in: Räthzel, Nora<br />
(Hg.): Theorien über Rassismus, Hamburg 2000, S. 17–33; Garner, Steve Racisms. An Introduction,<br />
London/Thousand Oaks 2010; Murji, Karimund John Solomos (Hg.) Racialisation. Studies in<br />
Theory and Practice, Oxford 2005.<br />
11<br />
Miles, 2000, S. 21. Problematisch ist, dass Miles seine Definition des Rassismus ausdrücklich an<br />
»biologische« oder »somatische« Merkmale koppelt, wodurch die Bedeutung des »kulturalistischen«<br />
Rassismus unterschätzt wird. Trotz dieser Einschränkung ist eine an Miles orientierte Definition<br />
des Rassismus jener vorzuziehen, die in Volkhards Artikel vorgestellt wird. Rassismus<br />
bezeichnet demnach gesellschaftliche Praxen, in denen Menschen bestimmten, hierarchisch definierten<br />
Kategorien zugeordnet und ihnen auf dieser Basis Eigenschaften zugeschrieben werden.<br />
Diese Kategorien können mit Verweisen auf die »Natur« beziehungsweise »Biologie« oder auf<br />
»Kultur« oder »Religion« operieren (zumeist mit einer Mixtur aus alledem). Entscheidend ist<br />
nicht, ob die Kategorisierungen an körperlichen (»somatischen«) oder anderen Eigenschaften<br />
festgemacht werden, sondern ob die zugeschriebenen Charakteristika als (mehr oder weniger)<br />
unabänderlich, essenziell und somit quasi-natürlich aufgefasst werden.