Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Tropennutzwald
Längst hat sie die Moderne, das Abwaschbar-sein,
der erschwingliche Preis oder einfach das
Praktisch-sein ein- und überholt. Palmstrohdächer???
Keiner will mehr ein mit Palmstroh
gedecktes Dach, das alle 2-3 Jahre erneuert
werden muss, auch wenn sie jenen Dächern aus
Wellblech oder recycelten Reifen um viele
Thermograde überlegen sind. Schauerlich,
Strohdächer sind Wohnort für zu viele Insekten,
nicht alle geeignet für ein friedliches
Zusammenleben, und können in der Regenzeit
ganz schön lecken.
Auch die Tage der traditionellen Häuser aus Holz
sind gezählt. Die letzten Exemplare modern vor
sich hin. All das kunstvolle Handwerk, das
Handwerk und das Wissen, das dahinter steckt,
verlieren sich. Nur ein paar verrückte Althippies
oder Intellektuelle bauen sich eine an den
Malocas inspirierte Behausung, lassen sich gar
von den einheimischen Materialien und
Strukturen zu modernen, klimagerechten
Neukonstruktionen inspirieren, die nicht nur
Komfort bringen und klimaangespasst sind,
sondern auch die Traditionen respektieren.
Auch hier ist die Architektur globalisiert. Man
nimmt sich lieber den Süden Brasiliens oder
Miami als Vorbild. Die modernen Baumaterialien
aus dem Baumarkt sind einfach zu billig, der
Plastik zu verlockend. Nun also Glasscheiben in
Metallrahmen statt Holzfenster, die sind so schön
dicht und können nur schlecht aufgemacht
werden. Wozu auch, drinnen sorgt die
Klimaanlage, lustigerweise als „Central de ar“,
Luftzentrale bekannt, für arktische Temperaturen.
Der Tropenwald war und ist noch ein Nutzwald.
Traditionellerweise bezog die lokale Bevölkerung
alles Baumaterial aus dem Tropenwald. Die
unterschiedlichsten Palmen lieferten das
Ausgangsprodukt für fast alle ihre Gebrauchsgegenstände,
vom Tragegestell bis zum Hausdach,
von der Kalebasse und dem Kanu bis zu den
Spielzeugen der Kinder. Viele dieser Gegenstände
findet man heute nur noch als Kunsthandwerk für
Touristen.
Aber nicht nur für das leicht zu flechtende
Palmstroh wird der Regenwald genutzt. Manche
tun es als Nostalgie ab, oder als Folklore, für die
meisten sind diese altmodischen Dinge ganz
einfach unpraktisch, außer Mode. Bald werden nur
noch die Fremdenführer von der „Sapopema“,
erzählen, dem Baum, dessen Stamm hohl ist, und
der von den Indigenen als eine Art Radio, als
Kommunikation auf Distanz benutzt wird. Das Holz
eines anderen Baumes riecht unverkennbar nach
Vicks und wird mit denselben medizinischen
Indikationen angewendet. Sein Name? „Viqueiro“!
Mit „Breu“, ein helles, duftendes Harz, werden
Spalten in Kanus abgedichtet. Die „Ayuasca“ ist ein
kraftvolles Abführmittel, soll auch für tolle
Halluzinationen sorgen, die so den Körper von
allem Bösen reinigen und heute in verschiedenen
Ritualen, von sektenartigen Gruppen in ganz
Brasilien angewendet wird, um zu seinem
wirklichen Ich zu finden. „Marapuama“ ist ein
kraftvolles Holz, denn die Rinde und Wurzeln des
Baumes sollen der männlichen Potenz auf die
Sprünge helfen, aber auch Rheuma kurieren.
Die Moderne wird auch sie in die Erinnerung
verbannen, der Fortschritt ist unaufhaltsam. Nur
ewig Nostalgische weinen ihnen Tränen nach.
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