Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Wissen über ihre Heilkraft? Welchen Wert hat
eine Pflanze aus dem Regenwald überhaupt? Wer
darf damit arbeiten, respektive daraus
potenziellen Nutzen ziehen? Wie weit vertraut
man der Ethnobiologie, wenn es um neue Wege
der Forschung geht? Und last, but not least –
wem gehört das „Wissen“ über Kräutermedizin?
Das brasilianische Gesetz, im Moment in
wissenschaftlichen Kreisen heiß diskutiert, hat
eine klare Antwort. Nur wer eine Bewilligung der
Regierung hat, darf unter Androhung riesiger
Bußen mit den Pflanzen forschen. Was in Realität
die meisten Forschungsprojekte sozusagen
„tiefgefriert“. Auch wenn Firmen, wie
brasilianische Kosmetikfirma Natura einen Teil
des Problems mit einem Übereinkommen den
Kräuterverkäufern des berühmten Ver-o-peso in
Belém abschließt und ihnen für ihr „Wissen“
einen nicht bekannt gegebenen Betrag bezahlt, ist
das Problem so gut wie ungelöst.
Chicos grüne Paste enthält alle Dokumente.
Fünfzehn Jahre dauert sein Kampf schon. Eine
Reihe von Bürgermeistern hat ihm und seinem
Trank mit Stempel und schön geschwungenen
Sätzen seine Heilkraft attestiert. Jemand hat gar
ein Projekt geschrieben, R$ 15.000 für ein Haus,
ein Behandlungszimmerchen. Bis ihm dann die
Marina ein Boot geschenkt hat. Die, die er intim
und zärtlich Marina nennt, ist Marina Silva, die
Umweltaktivistin und –ministerin, Ex-Präsidentschaftskandidatin.
Die hat er da in Brasilia
getroffen. Das Boot? Das hat er gerade verkauft
und lässt sich nun ein noch schöneres, größeres
bauen. Den Bau verfolgt er mit Argusaugen. Hat
alles stehen und liegen lassen, um dem
Bootsbauer zuzusehen.
Hier lernen wir Chico kennen. Kunstvoll verklemmt
der Bootsbauer noch ein lang gezogenes Brett in
den malerisch hochgezogenen Rippen. Kühn
geschwunden sticht der Bug in den blauen
Himmel. Dunkel, fast schwarz hebt sich das
Gerippe gegen das grüne Gras ab, kaum hundert
Meter vom Wasser entfernt. Chico nimmt uns, die
instruierten, neugierigen Ausländer, sogleich mit
in sein Haus. Gleich da oben sei es. Ein kurzer
Fußmarsch nur. Er wohne am schönsten Ort der
Welt. Hoch über dem Wasser. Manchmal komme
da gar eine Schildkröte oder ein Kaiman zu Besuch.
Sorgfältig zirkeln wir über die Bretterbrücke. Die
zwei freundlichen Hunde müssen auf der anderen
Seite bleiben. Es ist eines jener Stelzenhäuser, die
sich hier im Norden Brasiliens über Hochwasser
und Sümpfe erheben. Nachzufragen, wohin das
Abwasser und die Fäkalien der Toilette fließen,
unterlässt man besser. Ja, das ganze Haus hier hat
er eigenhändig erbaut. Baut es noch immer weiter
aus. Dann, wenn die große Familie durch noch
einen Schwiegersohn oder eine Schwiegertochter
oder einen Enkel erweitert wird. Stolz zeigt er
uns den Fahnenmast und die Galionsfigur für das
neue Boot. Denn Schreiner, ein wahrhaft
talentierter, ist er nämlich auch.
Nein, das Schlangenflüstern werde wohl keiner
von seinen Söhnen weiterführen. Er selber habe
alles, was er wisse, von seinem Vater, einem
waschechten Indigenen aus Mato Grosso erlernt.
Immer wieder kommt er zum Ausgangspunkt
zurück. Sein Trank helfe gegen alle Arten von
Bissen, Stichen und Wunden, die von giftigen
Tieren verursacht würden. Den Biss einer
Schlange könne er allein schon an den
Symptomen vom nicht weniger erschreckenden
Stich einer Spinne oder eines Skorpions
unterscheiden. Was den studierten Doktoren oft
eher schwer falle. Schon oft habe er einem von
ihnen widersprochen. Eine gänzlich falsche
Diagnose richtig gestellt.
Leider kämen die meisten Betroffenen erst dann
zu ihm, wenn sie die Medizin, die Doktoren
schon aufgegeben habe. Und er heile sie alle. Mit
einem einzigen Trank. Die Ärzte könnten es sich
nicht erklären. Sie schössen nur viel Fotos.
Vorher und nachher und begännen dann, ihn
wirklich zu respektieren. Seine Söhne erschrecke,
ekle es, wenn die Menschen hier ankämen.
Schreiend, außer sich vor Schmerzen,
Gliedmaßen in Verwesung, das halten nur sehr
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