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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Köstliche Straßenkost<br />

Heute nennt man sie auch in Brasilien Foodtrucks.<br />

Hier im Norden gab es sie schon viel<br />

länger, wohl seit immer. Und Trucks sind sie auch<br />

nicht, dafür sind sie zu wenig gestylt. Dafür aber<br />

schießen sie jede Nacht heraus, gleich nach dem<br />

Eindunkeln, dann wenn die Sonne sich etwas<br />

ausgekühlt hat, werden wie von <strong>ein</strong>em<br />

Zauberstab <strong>ein</strong>fach aus dem Asphalt geschlagen.<br />

Da wo tagsüber <strong>ein</strong> öffentliches Amt funktioniert,<br />

installiert sich abends „Seu Rosário“,<br />

stadtbekannt, heiß geliebt <strong>und</strong> dreckbillig. Ein<br />

Wägelchen aus Blech, wie tausend andere. Rechts<br />

<strong>und</strong> links zwei endlose Reihen blauer<br />

Plastikstühle, die von <strong>ein</strong>er Horde fliegender<br />

Kellner bedient werden. Es gibt „Hot-Dog“, halt,<br />

n<strong>ein</strong> „Cachorro quente paraense“. Aus Hackfleisch<br />

zubereitet, zweite Qualität, die schmeckt, dank<br />

höherem Fettanteil sehr viel leckerer, mit Kreuzkümmel,<br />

winzig kl<strong>ein</strong> geschnittenen Tomaten <strong>und</strong><br />

viel frischem Koriander. Die Alternative ist der<br />

Schw<strong>ein</strong>eschinken, am Stück, so lange gebraten,<br />

bis er buchstäblich in leckere, fleischige<br />

Faserstreifen zerfällt. Auch er kommt ins<br />

Brötchen, auch er bekommt <strong>ein</strong>en Schuss kl<strong>ein</strong><br />

geschnittener Tomaten <strong>und</strong> viel gehackten<br />

Koriander. Bestelle, wie m<strong>ein</strong> Nachbar, <strong>ein</strong>en<br />

Nachschlag. Schmeckt <strong>ein</strong>fach zu gut. Er kam im<br />

Auto. Hat wie viele, die halbe Stadt durchquert,<br />

nur um hier zu lunchen.<br />

Auch der Standort der „Tacacazeira“ ist<br />

stadtbekannt <strong>und</strong> mit Fingerspitzengefühl<br />

ausgewählt. Ihre kl<strong>ein</strong>e Bude steht ebenfalls auf<br />

öffentlichem Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> vom freien Himmel<br />

trennt sie nur <strong>ein</strong>e Plastikplache. Direkt vor <strong>ein</strong>em<br />

der wenigen Straßenkinos, die hier noch ums<br />

Überleben kämpfen. Und die vier oder fünf<br />

wackligen Stühlchen ohne Rückenlehne sind<br />

immer besetzt. Zu Stoßzeiten entstehen<br />

Warteschlangen. Tagaus, tag<strong>ein</strong> sitzen die K<strong>und</strong>en<br />

vor ihren schwarz lackieren Kalebassen <strong>und</strong><br />

nehmen, wie es der Brauch will, ihr „Tacacá“. Das<br />

kocht sich <strong>ein</strong>fach gar k<strong>ein</strong>er zu Hause! Alle essen<br />

es im Stehen, unterwegs. Auch ich bin absoluter<br />

Fan! Die Suppe ist, des milchig-transparenten<br />

Schleims wegen, zugegebenermaßen etwas<br />

exotisch. Schon schöpft mir die so gar nicht<br />

<strong>ein</strong>geborene Blondine aus der ersten Pfanne<br />

säuerlich-würzigen, gelbgrünen „Tucupí“, lässt aus<br />

der nächsten Alupfanne <strong>ein</strong>en großzügigen Löffel<br />

„Goma“, Schleim, hin<strong>ein</strong>gleiten. Noch mehr Tucupi<br />

obenauf. Dann, noch <strong>ein</strong>e Pfanne abgedeckt, <strong>ein</strong>e<br />

Gabel leckeren „Jambús“, <strong>ein</strong> lokales Gemüse <strong>und</strong><br />

als Krönung <strong>ein</strong> paar im Salz getrocknete Shrimps.<br />

Zur Krönung <strong>ein</strong> paar Tropfen wohlriechenden<br />

Pfeffers draufgetröpfelt. Schlürfe, Löffel wären <strong>ein</strong><br />

Sakrileg, das dampfend parfümierte Gebräu direkt<br />

aus der Kalebasse. Heilige Stille. Ich hebe ab. Im<br />

Hintergr<strong>und</strong>, das emsige Auf-<strong>und</strong> Zuklappern der<br />

Topfdeckel, <strong>ein</strong> nervöses Hupen, Motorengeräusch.<br />

Fische die Shrimps, vielleicht auch<br />

etwas Gemüse, mit dem mitgelieferten<br />

Zahnstocher heraus. Salzig, sauer, aromatisch,<br />

pfeffrig <strong>und</strong> vom neutralen Schleim w<strong>und</strong>erbar<br />

zu <strong>ein</strong>em Ganzen gefügt, kenne ich kaum <strong>ein</strong>e<br />

exotischere, besser schmeckende Suppe, als die<br />

hier am Straßenrand.<br />

Als Nachspeise vielleicht <strong>ein</strong>e „Tapioca“, <strong>ein</strong>e Art<br />

knuspriger Pfannkuchen? Weiß, an <strong>ein</strong>er anderen<br />

Straßenecke in <strong>ein</strong>er Minute abwechslungsweise<br />

in zwei kl<strong>ein</strong>en Teflonbratpfannen auf <strong>ein</strong>em<br />

Gaskocher gebacken? Es ist <strong>ein</strong> Ehepaar, das<br />

bedient <strong>und</strong> ihre sind f<strong>ein</strong>er, reichlicher, s<strong>ein</strong>e<br />

<strong>ein</strong> wenig dicker <strong>und</strong> nicht so üppig gefüllt. Auf<br />

die mit Käse <strong>und</strong> Kokos, nicht im Angebot,<br />

verzichte ich ungern. Beide machen sie promt, er<br />

verrechnet aber, ganz schlau, gleich mal 50<br />

Centavos mehr. Besser wohl nur die<br />

Manauarische Variante. Neben Käse kommt auch<br />

Tucumã <strong>und</strong> Banane r<strong>ein</strong>. Unvergleichlich <strong>und</strong> in<br />

zwei Minuten frisch zubereitet.<br />

Eine Frau nähert sich. Unschlüssig bleibt sie<br />

stehen. Fragt, ob es wohl welche mit Kokos gebe.<br />

Erfahrene Marktfrau fragt die Tapioqueira, auch<br />

Analphabeten sind gute K<strong>und</strong>en, aufs Angebot<br />

zeigend, sogleich: - „Möchten Sie, dass ich es<br />

Ihnen vorlese?“ –<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 761

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