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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Erste Eindrücke<br />

Nach <strong>ein</strong>er Woche ist mir noch immer fast alles<br />

fremd. Was macht man, wenn sich <strong>ein</strong> gemachtes<br />

Bild nicht mit der Wirklichkeit deckt? Ich habe<br />

weder mit diesem Riesen, diesem wuchtigen<br />

Ungetüm, noch mit dieser totalitären, alles<br />

dominierenden Natur gerechnet. Wo bleibt der<br />

Naturpark, den man mir angepriesen hat? Wo<br />

bleiben die überschaubaren, grandiosen<br />

Landschaften, die man mir auf den sorgfältig<br />

ausgewählten <strong>Foto</strong>s präsentierte? Verzweifelt<br />

suche ich den Regenwald m<strong>ein</strong>er romantischen<br />

Träume, m<strong>ein</strong>er unschuldigen Vorstellungen,<br />

m<strong>ein</strong>en Garten Eden. Wo sind sie geblieben? Alles<br />

ist befremdend. Befremdend die ungeheuren<br />

Distanzen. Fremd das riesige, graue Meer,<br />

ausgebreitet vor der Stadt wie <strong>ein</strong> riesiges, graues<br />

Tuch, leicht gewölbt, bis über den Horizont.<br />

Süßwasser-Meer, Zwitter, halb Fluss, halb See <strong>und</strong><br />

eigentlich das Delta des Amazonas. Fremd die<br />

endlosen, sandfarben Riesenstrände, verlassen,<br />

beleckt von trübem Wasser, weder süß noch<br />

salzig. Fremd, die „dreckigen“, gelbschlammigen<br />

Wassermassen, Flüsse, Wasserarme, die endlos<br />

<strong>und</strong> sch<strong>ein</strong>bar ohne Ziel durch monotone Sümpfe<br />

mäandern.<br />

Auf dem Markt begegne ich den fremdartigen<br />

Wasserbewohnern. Berge von<br />

Süßwassercrevetten, in der Schale getrocknet.<br />

Riesige Fische, frisch, oder <strong>ein</strong>gesalzen, in<br />

mächtige Scheiben gehauen. Am meisten<br />

be<strong>ein</strong>druckt mich der schleimgraue, uralte Fisch.<br />

Wie <strong>ein</strong> Dinosaurier liegt er auf der Marmorplatte,<br />

breitmäulig <strong>und</strong> echsenhaft. Erloschen schauen<br />

s<strong>ein</strong>e tiefliegenden Glubschaugen ins Leere der<br />

schmutzigen Markthalle.<br />

Auch die monotone Schönheit des Regenwaldes<br />

berührt mich eigentümlich. Er ist von schiefrigem,<br />

gelblich-grauem Grün. Die paar wenigen Pflanzen<br />

wiederholen sich in seltsamer Monotonie. Das ist<br />

er also, der Amazonas aus den Schlagzeilen, die<br />

grüne Lunge der Erde, das bedrohte Paradies.<br />

„Brandrodungen im Amazonas verursachen<br />

Klimaveränderungen! Der Amazonas wird sterben!<br />

Die reiche Biodiversität der Welt steht vor der<br />

Zerstörung! Schützt die Brasilianischen Indios!“ –<br />

Tropisches Requiem. Auf der ganzen Welt ist<br />

„<strong>Amazonien</strong>“ in den Schlagzeilen. Jeder Zeitung<br />

lesende Europäer ist bestens über die<br />

<strong>ein</strong>schlägigen Zusammenhänge zwischen Ozonloch<br />

<strong>und</strong> den Brandrodungen im Amazonas informiert.<br />

Der Raubbau am Tropenholz gibt Stoff für manche<br />

reißerische Titelgeschichte. Drüben, in Europa,<br />

habe ich viel über die amazonischen W<strong>und</strong>er <strong>und</strong><br />

noch mehr über deren Zerstörung gelesen. Nichts<br />

davon ging mir unter die Haut. Es war weit weg.<br />

Jetzt prallen sie hart auf<strong>ein</strong>ander – das<br />

europäische Klischee „<strong>Amazonien</strong>“ <strong>und</strong> die<br />

unerwartete, m<strong>ein</strong>e persönliche amazonische<br />

Wirklichkeit.<br />

Schön? Schönheit? N<strong>ein</strong>. Diese unerwartete<br />

Wildheit ist <strong>ein</strong> Schock. Erst beim dritten, vierten<br />

Blick beginnt mich das Wilde endlich zu<br />

faszinieren. Zuerst sind es die Pflanzen. Alle sind<br />

enorm, zu groß, mehr als armlang,<br />

übermannshoch, vier, fünf Armlängen dick.<br />

Blattpflanzen, Palmwedel, Knorrenstämme, alle<br />

überdimensioniert. Ein Wald für Riesen! Für mich<br />

wird er zum Ur-Wald: ur-sprünglich, ur-wüchsig<br />

<strong>und</strong> ur-alt.<br />

Es ist m<strong>ein</strong> zweiter Tag in Belém, der alten, halb<br />

verlotterten, teilweise hässlich-modernen Stadt<br />

am Delta des Amazonas. Immer noch bin ich wie<br />

betäubt. Wie k<strong>ein</strong>e Reise zuvor beansprucht,<br />

strapaziert dieser Besuch alle m<strong>ein</strong>e Sinne. Eine<br />

ganz neue Erfahrung. Körper <strong>und</strong> Kopf sind<br />

gefragt, m<strong>ein</strong> ganzes Ich, m<strong>ein</strong> Geist, alles ist<br />

mit<strong>ein</strong>bezogen. <strong>Amazonien</strong> stellt unbekannte<br />

Herausforderungen an m<strong>ein</strong>en Tastsinn, an<br />

m<strong>ein</strong>e Zunge, an die Ohren, die Haut, ans Atmen.<br />

Eine Art Trance, <strong>ein</strong> Schock. Körperliche<br />

Wahrnehmungen verschmelzen mit visuellen.<br />

Auch kämpfe ich mit total unerwarteten Bildern.<br />

Ich weiß nicht, ob ich enttäuscht s<strong>ein</strong> soll oder<br />

erstaunt. Ganz anders haben sie mir im alten<br />

Europa den Urwald präsentiert, auf sorgfältig<br />

ausgewählten Hochglanzfotos, in den<br />

Hochglanzmagazinen, den Reisebüchern.<br />

Seite um Seite W<strong>und</strong>erwelt Regenwald: pralles,<br />

exotisches Grün, wimmelnd von fremdländischer<br />

Schönheit – die schier unglaubliche Flora <strong>und</strong><br />

Fauna <strong>Amazonien</strong>s, unberührt <strong>und</strong> fast noch<br />

unerforscht. Der Begleittext schwankt zwischen<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 29

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