Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Maizenaschlachten am Karneval
Immer wieder begegnen wir über und über
bemehlten Gestalten. Überall liegen die
traditionellen, gelben Maizena-Schächtelchen mit
den schwarzen Buchstaben herum, leer natürlich.
Der Nachschub scheint, wie der an Bier und
Energiegetränken unerschöpflich. Na gut, früher
soll es ja Brauch gewesen sein, sich neben Mehl
mit Blasen voller Urin und anderen
Unappetitlichkeiten zu bewerfen. Hier beschränkt
man sich heute auf Maizena und ganz modern,
eine Art Schnee aus der Sprühdose.
Könnte auch zu Hause bleiben, aber die Neugier
war stärker. Seit Tagen sind die kleinen, improvisierten
Baracken mit den Palmstrohdächern
installiert, zusammen mit den Bierfässern, die
wohl nur einen Teil des Abfalles aufnehmen
werden. Auch die ambulanten Verkäufer schießen
wie Pilze aus einem feuchten Waldboden. Ihre
eher krakelig improvisierten Plakate verraten,
dass sie Amateure sind. Trotzdem boomt das
Geschäft mit eiskaltem Bier, Bier, Maizena und
Energiedrinks. Andere funktionieren ihre
unbebauten Grundstücke mit charmanten,
orthografisch nicht immer ganz korrekten
Plakaten zu Parkplätzen um. Alter do Chão ist ein
Touristenort und bereit fürs Fest. Echten
Geschäftssinn verrät auch die Perückenverkäuferin.
An einem improvisierten Drahtgestell
flattern lila und schrillgrüne Perücken im
Chanelstil, daneben ein wilder Irokese und auch
die Afroperücken im besten Black-Panther-Stil,
wirr wie ein aufgedröseltes Wollknäuel.
Improvisation und Kurz-Entschlossen-Sein ist
gefragt. Alle Perücken finden Abnehmer. Der
halbe Dorfplatz kostümiert sich, die Hitzen sind
unerträglich, wenigstens den Scheitel. Da schau,
der überdimensionierte Wollknäuel gibt dem
lokalen, dunkelhäutigen Indionachfahren ein
überraschend echt afrikanisches Aussehen. Im
kleinen Krämerladen kauft sich ein anderer soeben
einen Nachttopf, orange oder pink? und testet
auch gleich, ob er ihm wirklich bis zu den Ohren
runter geht. Huch, da kommen schon die ersten
Maizenabestäubten, dann nun doch lieber in die
Gegenrichtung.
Der Karneval ist es sich auch hier, in Alter do Chão,
wert, von der Stadt aus dem Steuertopf finanziert
zu werden. Den Minikarnevalsblock, alle im Besten
Alter, vier überaus fröhliche, schon etwas
angeheiterte Damen und zwei Kavaliere, allerdings
haben sich privat in Unkosten gestürzt. Nichts hält
sie mehr. Die Männer reichen den Frauen weder
puncto Verkleidung noch an Aufgekratzt-Sein das
Wasser. Alle vier tragen über ihren hochsynthetisch
kitschige Perücken je ein Paar roter, listig
blinkender Teufelshörnchen. Deren eingebaute
Lichter blinken durch den animierten Abend in
teuflischem Rhythmus, ein und aus, ein und aus.
Den Männern hat dazu wohl einfach die Courage
gefehlt. Auch die Kostüme sind originell.
Ultrakurze Kleidchen, die sich selbstkritisch über
die Trägerin und deren etwas aus den Fugen
geratenen Körper lustig machen. Jedes Kleid ziert
ein grazil gemaltes, lecker-köstliches
Kurvenkörperchen in Front- und Hinternansicht.
Die pospaltentiefen Rückendekolletés und die
neckisch aufgerichteten Teufelsschwänze lassen
keinen Zweifel an den provozierenden Absichten.
Das größte Vergnügen der Truppe besteht aber
darin, sich zwischen ein paar wippenden
Tanzschritten, mit vielen kleinen Schlucken Bier
begossen, reihum abzulichten und abgelichtet zu
werden, was die ganze Sache noch um vieles
pikanter zu machen scheint. Stacheln sich
gegenseitig zu noch gewagteren, noch
ordinäreren Posen an. Die werden dann alle
sogleich, Digitalkamera im Handy sei Dank,
reihum angesehen und quietschend
kommentiert, um dann einer noch sinnlicheren
Aufnahme überboten zu werden. Lasziv
hingeflätscht oder gar kompliziert um die hohe
Stange gewunden, die gerade zufällig da steht.
Die Männer, außen vor, nuckeln schon etwas
betäubt an ihren Bierbüchsen. Ignorieren die
spitzen, entzückten Schreie über noch ein Foto
auf dem Winzmonitor, dem gleich noch ein
weiteres Foto nachgeschoben wird. Dann aber
bläst die pinkfarbene Chanelperücke zum
Aufbruch. Von Weitem kann ich nur noch ihre
knackigen, leider falschen Hinterteile bewundern
und einmal mehr feststellen, dass dieser
Karneval wohl ohne mich stattgefunden hat.
Amazonien, ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata 976