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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Im Flug<br />

Sozusagen im Flug zieht <strong>ein</strong> halber Kontinent<br />

unter mir vorbei. Drei<strong>ein</strong>halb St<strong>und</strong>en lang kann<br />

ich von m<strong>ein</strong>em Fensterplatz aus verfolgen, wie<br />

sich Brasilien verändert. Beim Aufsteigen unter<br />

mir die Stadt Manaus. Betongrau, erdfarben, wie<br />

alle anderen Städte in unendlich viele Quadrate<br />

zerschnitten, zerhackt. Nur am Horizont dunkles,<br />

fast schwarzes Grün. Dann <strong>ein</strong>, auch im Verhältnis<br />

zur endlosen Stadt, riesiger Streifen Wasser, der<br />

immer noch breiter wird. Ein paar lang gezogene<br />

Inseln oder halt, wohl <strong>ein</strong>e Flussschlaufe, <strong>ein</strong> Knie.<br />

Überall verteilt Wolkengebirge, schwerelos in den<br />

Raum gestellt, schwebend, wie tausend kunstvoll<br />

aus<strong>ein</strong>andergerissene Wattebällchen. Hart<br />

abgegrenzt mache ich ihre Schatten da auf dem<br />

fernen Boden aus.<br />

Was ist das denn? Ein paar riesige Schlieren,<br />

auslaufend <strong>und</strong> mächtig, wie wenn jemand nach<br />

dem Malen der Wasserbecher umgefallen wäre.<br />

Die trübe Soße, zusammen gewaschen aus allen<br />

verwendeten Farben, zieht weite Schleifen, teil<br />

sich, fließt in alle Richtungen. Dann aber, wie<br />

wenn das Resultat den Verursacher nicht<br />

befriedigt hätte, <strong>und</strong> er es sozusagen verdünnen<br />

wollte, schickte er ihm frischeres, blaues Wasser<br />

nach, veranstaltete <strong>ein</strong> gigantisches, nasses<br />

Treffen, denn die beiden Wasser laufen <strong>ein</strong>e lange<br />

Weile neben<strong>ein</strong>ander her, ohne sich zu<br />

vermischen. Klar grenzen sich die Konturen<br />

von<strong>ein</strong>ander ab – wir fliegen gerade über das<br />

Treffen der Wasser vor Manaus! Hier fließt der<br />

Rio Negro in den Solimões, der da zum Amazonas<br />

wird.<br />

Die Muster wiederholen sich in tausenderlei<br />

monotonen Varianten. Ungezählte ähnliche<br />

Flussläufe, f<strong>ein</strong> verästelt, dazwischen dunkles<br />

Grün. Mal sind es f<strong>ein</strong>e Honigfäden, mal<br />

lehmdreckige Soßen, die jemand über <strong>ein</strong> holprig<br />

grünes Kohlblatt hat laufen lassen. Dann wieder<br />

sind es Straßen, erdfarben, erkennbar an ihrer<br />

regelmäßigen Breite. Jetzt sind wir genau über<br />

anderen schlammbraun milchkaffeefarbenen<br />

Wassern. Jede <strong>ein</strong>zelne Wolke verschattet <strong>ein</strong><br />

kl<strong>ein</strong>es Stück Erde genau unter ihr. Fällt der<br />

Wolkenschatten auf die Wasser, verfärben auch<br />

sie sich dunkler, werden fast graubraun. Andere<br />

Wasser tauchen auf, blauer, grünlicher,<br />

dazwischen immer wieder sehr viel Kohl. Eine<br />

<strong>ein</strong>zelne Straße, braun <strong>und</strong> gleichmäßig<br />

gew<strong>und</strong>en, schiebt sich von unten her in den<br />

Ausschnitt, führt ins Nirgendwo, direkt in die<br />

Wolken, die den Horizont verschleiern. Andere<br />

Wolken, dazwischen gehängt, geschoben, reißen<br />

aus<strong>ein</strong>ander, ballen sich gebirgig auf, mehrstöckig,<br />

verdicken sich oder werden wieder zu Schlieren,<br />

Schleiern, Dunst.<br />

Lasse mir von früher erzählen, als man von Belém<br />

bis Manaus sechs, sieben St<strong>und</strong>en flog, <strong>und</strong> nicht<br />

wie jetzt, in der halben Zeit, in drei<strong>ein</strong>halb<br />

St<strong>und</strong>en bis São Paulo kommt. Die Flugzeuge<br />

waren Militärmaschinen, die Stewards trugen rote<br />

Hemden, gut erkennbar im grünen Dschungel,<br />

<strong>ein</strong>e Machete am Gürtel <strong>und</strong> <strong>ein</strong>en Revolver. Die<br />

Passagiere saßen rechts <strong>und</strong> links im Rumpf des<br />

Flugzeuges, das Gepäck war notdürftig in der<br />

Mitte mit <strong>ein</strong>em Netz gesichert. Jeder bekam für<br />

den Notfall <strong>ein</strong>e Überlebensration zugeteilt, die<br />

für drei Tage reichen musste, in dieser riesigen<br />

Wildnis, die mir viel mehr Wasser zu haben<br />

sch<strong>ein</strong>t als festes Land. Mehr wie <strong>ein</strong>e grünbraune<br />

Hölle vorkommt, als wie das Paradies. Endlos,<br />

bläulich, bräunlich, riesige Landstriche ohne <strong>ein</strong>en<br />

<strong>ein</strong>zigen, menschlichen Eingriff.<br />

Eine oder <strong>ein</strong><strong>ein</strong>halb St<strong>und</strong>en später <strong>ein</strong> anderes<br />

Bild. Kupfrig, orangebraun die scharf<br />

abgegrenzten Felder, riesige Brocken, aus dem<br />

Urwald herausgeschnitten, herausgeholzt,<br />

dazwischen immer noch endlose bewaldete<br />

Flächen, Wolken, Wolkenschatten. Bis dann das<br />

bearbeitete, urbar gemachte Land immer mehr<br />

Besitz ergreift, überhandgewinnt, der Boden<br />

heller wird, sich immer mehr zerstückelt. Die<br />

Flüsse nurmehr f<strong>ein</strong>e Rinnsale, dazwischen immer<br />

wieder scharf <strong>und</strong> kantig abgeschnittene,<br />

kommerziell genutzte Flächen. Felder, bestellt<br />

oder brachliegend, verdrängen langsam aber<br />

stetig alles Grün, an dessen Stelle abgezirkeltes<br />

Beige, Braun <strong>und</strong> Graubraun tritt. Das Land ist<br />

nun fast vollständig aufgeteilt, bestellt, genutzt.<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 23

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