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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Von den Quilombolas, den Nachfahren geflüchteter Sklaven<br />

Die Lage der Schule direkt über dem Wasser ist<br />

w<strong>und</strong>erschön <strong>und</strong> gleichzeitig praktisch. Die<br />

Schulschiffe, sie bringen die kl<strong>ein</strong>en Schüler zum<br />

Unterricht, liegen <strong>ein</strong>s neben dem anderen<br />

aufgereiht vor Anker. Den Haupt<strong>ein</strong>gang der<br />

Schule schmückt <strong>ein</strong> buntes Plakat: „Não sou<br />

descendente de escravos. Eu descendo de seres<br />

humanos que foram escravizados.“ – „Ich bin k<strong>ein</strong><br />

Nachfahre von Sklaven. Ich stamme von<br />

menschlichen Wesen ab, die versklavt wurden.“ –<br />

Wortklauberei oder hat das Politisch-Korrekt-S<strong>ein</strong><br />

auch hier hinter den letzten Grenzen Einzug<br />

gehalten? Die Schule jedenfalls ist nur <strong>ein</strong>e<br />

Gr<strong>und</strong>schule, 1.-4. Klasse. Weiterführende Stufen<br />

gibt es nur in der mehr als <strong>ein</strong>e Bootsst<strong>und</strong>e<br />

entfernten Stadt, in Oriximiná. Für viele<br />

Quilombolas ist das allerdings zu weit, zu teuer<br />

<strong>und</strong> überhaupt zu kompliziert. So absolvieren<br />

viele nur die Gr<strong>und</strong>stufe. Wohl die Regel hier in<br />

der weiten Region Oriximinás, in <strong>ein</strong>em der<br />

hintersten Hinterländer des Amazonas.<br />

Hier befinden sich auch ungefähr 60 Comunidades“,<br />

Gem<strong>ein</strong>schaft von „Quilombolas“,<br />

direkten Nachfahren entflohener Sklaven, die mit<br />

ihren Sitten <strong>und</strong> Gebräuchen das komplexe Puzzle<br />

des amazonischen Schmelztiegels vervollständigen.<br />

Die hiesigen Quilombolas allerdings haben<br />

Pionier- <strong>und</strong> Vorzeigestatus. Es gelang ihnen 1989<br />

<strong>ein</strong>e Assoziation zu gründen, die ARQMO,<br />

(Associação das Comunidades Remanescentes de<br />

Quilombos do Município de Oriximiná), die sie<br />

repräsentiert. Ein Herkulesunternehmen, das nur<br />

sehr wenigen Hinterwäldlern <strong>und</strong> Indigen gelingt,<br />

zu tief verankert das ständige Misstrauen s<strong>ein</strong>en<br />

Mitmenschen gegenüber. Dank der Assoziation<br />

<strong>und</strong> mit Hilfe der immer stärker werdenden Pro-<br />

Schwarzen-Bewegung Brasiliens gelang es, den<br />

ständigen Invasionen <strong>und</strong> auch den Mächtigen,<br />

unter anderen der Mineração Rio do Norte,<br />

gem<strong>ein</strong>sam entgegenzutreten. Und das mit Erfolg.<br />

Der selben Assoziation ist es zu verdanken, dass es<br />

ihnen 1995 nach jahrelangem, mühsamem Kampf<br />

<strong>und</strong> Gang durch die endlose Bürokratie gelang, das<br />

Besitzrecht jene Ländereien zu erlangen, auf<br />

denen sie seit Menschengedenken leben <strong>und</strong><br />

deren Besitz ihnen durch die Konstitution von<br />

1988 garantiert ist.<br />

Auf der Fahrt über die spiegelglatten Wasser<br />

treffen wir auch die großen Schleppschiffe. Bauxit<br />

heißt das Zauberwort, Segen für die <strong>ein</strong>en, Fluch<br />

für die anderen. Die Stadt Oriximiná ist so reich<br />

wie hässlich, unterscheidet sich damit deutlich von<br />

anderen Städten im selben amazonischen<br />

Hinterland. Verantwortlich dafür ist die<br />

„Mineradora“, Mineração Rio do Norte, die hier<br />

seit 1976 Bauxit abbaut, weiterverarbeitet <strong>und</strong> gar<br />

ihren eigenen Bahntransport hat, der die<br />

Mineralien direkt bis zu den Ladeschiffen bringt.<br />

Der Bauxitabbau Oriximinás gilt als <strong>ein</strong>e der<br />

größten der Welt, ist die größte Brasiliens <strong>und</strong><br />

leider überlappen sich ihre Abbaugebiete mit den<br />

Ländereien der Quilombolas.<br />

Gigantisch sind somit auch die Kontraste. Die<br />

Quilombolas sind bis heute Selbstversorger,<br />

mehrheitlich Kl<strong>ein</strong>bauern, Farinhaproduzenten<br />

<strong>und</strong> Paranusssammler. Wenn sie nicht ihre<br />

Felder bestellen, buckeln in mühevollster,<br />

schweißtreibenster, extrativistischer Arbeit die<br />

Paranüsse <strong>und</strong> viele andere Produkte wie<br />

Copaiba <strong>und</strong> Andiroba aus <strong>ein</strong>em mehrheitlich<br />

noch intakten Tropenwald, von den malerischen<br />

Mäandern des Flusses Trombetas durchzogen.<br />

Die Produkte verkaufen sie an „Atravessadores“,<br />

Wiederverkäufer, die beim Weiterverkaufen<br />

derselben den Löwenanteil des Gewinns<br />

<strong>ein</strong>streichen. Das war schon immer so <strong>und</strong> nur<br />

dem Kampf dieser <strong>ein</strong>fachen Leute ist es zu<br />

verdanken, dass es wohl in Zukunft besser<br />

werden wird. Interessanterweise sch<strong>ein</strong>t auch<br />

bei den NGO-lern <strong>und</strong> anderen Hilfsorganisationen<br />

<strong>ein</strong> Umdenken in Gang. Sie versuchen<br />

denen, denen sie helfen wollen, nun sogar auf<br />

Augenhöhe entgegenzutreten <strong>und</strong> nicht mehr<br />

wie noch vor kurzer Zeit ihnen großspurig <strong>und</strong><br />

autoritär das aufzuoktroyieren, was sie für<br />

Verbesserungen halten. Der brasilianische Staat<br />

<strong>und</strong> die B<strong>und</strong>esländer allerdings halten es noch<br />

mit dem Althergebrachten, gehorchen lieber den<br />

Mächtigen <strong>und</strong> regieren per autoritärem Dekret.<br />

Und so ist die Geschichte wohl noch <strong>ein</strong>e Weile<br />

dazu verdammt, sich in <strong>ein</strong>er endlosen Spirale<br />

immer wieder zu wiederholen. Zu weit weg jene<br />

Erden, mitten im unwirtlichen Dschungel, auf die<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 355

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