Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Sant´Anas hausgemachte Nachspeisen
Einen einzigen Engel mache ich auf der Prozession
aus. Später, auf halbem Weg kommt noch ein
zweites Engelkind, ein Mädchen, dazu. Der erste
Engel, ein Junge, verheddert sich immer wieder in
seinem stahlblauen Satinkleid. Es ist ihm etwas zu
groß, die Ärmelabschlüsse aus passend blau
eingefärbten Schwanenfedern fallen ihm flaumig
weit übers Handgelenk. Hoch über dem kleinen,
ernsten Gesicht ruht ein Kranz mit blauen,
aufgesteckten Rosen. Die breite Schärpe hat man
ihm unters Kinderbäuchchen gebunden. Auf dem
Rücken trägt er engelgleich zwei blautransparente
Flügel. Das Engelmädchen ist identisch
kostümiert, allerdings in starkem Pink, das sich
vorteilhaft gegen seinen gebräunten Teint
abhebt. Kinderengelchen lösen ein Versprechen
ein. Die hochverehrte Sant´Ana, die Mutter
Mariens, hat die Führbitten erhöhrt und es wird
ihr nun so vergolten.
Das Fest für Sant´Ana, hier hoch verehrt, dauert
16 Tage, findet immer am 2. Sonntag im Juli statt.
Es beginnt mit einem aufwendigen Círio, eine
Prozession, an dem die ganze Stadt teilnimmt
eine Bestätigung des sozialen und hierarchischen
Statuses der Menschen in der lokalen
Gesellschaft. Wenige sehen darin den Reflex eines
Modells, das seit der Kolonisation unverändert
übernommen wurde und bis heute kaum
hinterfragt wird. Besonders hier im hintersten
Hinterland.
Während des ganzen Festes gibt es jeden Abend
eine kleine Prozession. Dabei wird die Statue der
Heiligen jeden Abend von einem anderen Stadtteil
feierlich bis zur Kirche getragen, ein festlicher Zug,
mit viel laut explodierendem Feuerwerke und
intensive Teilnahme der lokalen Bevölkerung. Die
Prozession, die ich heute mitmachen werde,
beginnt weit draußen. Da wo der Asphalt, lies
Fortschritt, noch nicht angekommen ist. Das
Kirchlein ist schmalbrüstig, hat aber eine
wunderschöne Kirchenglocke, eher selten hier in
Brasilien.
Langsam fällt die Nacht herein. Die Hitze des Tages
hat noch kein Grad nachgelassen. Bedächtig formt
sich der kleine Zug. Eine Vorsängerin stimmt eines
der Ave Marias an, unterbrochen von Rosenkranzgebeten
und religiösen Gesängen. Alles stoppt,
wenn die Heilige vorbeizieht. Respektvoll hält der
spärliche Verkehr. Auch der Engeljunge geht mit.
Schaut dem ganzen Treiben etwas scheu zu.
Später lese ich das aufwendig gedruckte
Festprogramm. Da steht nicht nur, wer für die
diesjährigen Feierlichkeiten wie viel Geld
gespendet hat. Oder vielleicht einen der vielen
Bingopreise, der Hauptpreis gar ein Grundstück,
oder die Trophäen der Versteigerung. Auch die
hiesige winzige Heiligenfigur ist sehr aktiv im Geld
sammeln. Vor dem Fest reist sie bis nach Manaus
und Belém, wo sie die Häuser von Ex-Anwohnern,
Ex-Obidensen besucht. Keiner lässt es sich
nehmen, etwas zu spendieren, vom Sandwichgrill
bis zum Rührgerät.
Wie alle amazonisch-katholischen Feste hat auch
dieses Fest seine urpopuläre Seite. Es ist ein
wirkliches Volksfest, an dem die ganze Stadt
teilnimmt, zum Beispiel mit freiwilliger
Fronarbeit oder einer spendierten Nachspeise.
Die werden zugunsten der Festkasse im
“Clipper”, dem städtischen Festsaal verkauft. In
die selbe Kasse kommt auch der Erlös der
tagtäglich stattfindenden Versteigerung. Heute
kann man ein gegrilltes Spanferkel, eine
Heiligenfigur, eine Hängematte und ein Set
Glasdosen gewinnen. Ganz klar, dass die Preise
symbolische Höhen erreichen, denn die Bieter
wollen nicht nur sich selber, sondern auch die
Stadt mit ihrer Finanzkraft beeindrucken. Noch
großzügiger gehe es bei der Viehversteigerung
zu. Da habe sich mancher in einen größenwahnsinnigen
Eifer hineingesteigert, den die Kuh dann
am nächsten Tag nicht mehr wert war. Aber was
soll´s. Der Stolz und der Ruhm bleiben und es ist
alles für einen guten Zweck, die Kirche natürlich
und SantÁna. Dass alles unter Kontrolle bleibt,
zeigt die Geschichte mit der kleinen Festkönigin.
Dafür wurde nicht das schönste Mädchen, wie es
eigentlich angesagt und erwartet war, gewählt,
sondern die Tochter dessen, der am meisten
Geld spendete. Ländliche Dorffeste sind wohl auf
der ganzen Welt gleich.
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