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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Reale Realitäten<br />

Es ist drei Uhr morgens. Das Flugzeug ist soeben<br />

gelandet. Noch denke ich, es sei ironisch<br />

aufbauend gem<strong>ein</strong>t, wenn mir die Flugzeugbesatzung<br />

<strong>ein</strong> fre<strong>und</strong>liches „Guten Tag“<br />

hinterherschickt. Zu m<strong>ein</strong>er totalen Überraschung<br />

ist der Winzflughafen belebt wie kaum Untertags.<br />

Die Taxisten reißen sich um die frühen K<strong>und</strong>en.<br />

Auch der Taxifahrer wünscht strahlend „Guten<br />

Tag!“. Es sind schließlich schon frühstmorgentliche<br />

drei Uhr dreißig. Wenigstens die Stadt<br />

schläft. Nur die taghell erleuchteten<br />

Plastikschwimmbecken grüßen von Ferne<br />

kühlblau in allen Formen <strong>und</strong> Größen. Ob er doch<br />

bitte die Klimaanlage etwas weniger kalt<br />

<strong>ein</strong>stellen könne. In São Paulo waren die<br />

Temperaturen um die Null Grad. Als sich dann die<br />

gläserne Tür des enormen Hotelkastens aus den<br />

50er Jahren, s<strong>ein</strong>erzeit verschwenderisch mit<br />

Regierungsgeldern hochgezogen, hinter mir<br />

geschlossen <strong>und</strong> mir noch <strong>ein</strong> fre<strong>und</strong>lich waches<br />

„Guten Tag“ entgegenschallt, gebe ich mich<br />

geschlagen.<br />

Auch das Frühstück, nach dem Bad im<br />

hollywoodverdächtigen Pool, so unwirklich türkis<br />

wie die Fertigschwimmbecken, konfrontiert mich<br />

mit noch <strong>ein</strong>er der realen Realität <strong>Amazonien</strong>s.<br />

Einer privilegierten Realität. Die muss der<br />

überwältigenden Natur <strong>ein</strong>en Hotelkomplex<br />

entgegenstellen, <strong>ein</strong>en überwältigenden Koloss,<br />

von Menschenhand erschaffen. S<strong>ein</strong>e meterhoch<br />

geschwungenen Rampe, die sich weit zum<br />

Eingang hoch schwingt, erinnert eher an <strong>ein</strong><br />

Fußballstadion, denn an <strong>ein</strong>e Herberge. Hier fährt<br />

man vor, möglichst im hochstelzigen<br />

Geländewagen, damit man sich <strong>ein</strong> bisschen<br />

weniger winzig vorkommt.<br />

Das Hotel, irgendwie wie von <strong>ein</strong>em anderen<br />

Stern, wird seit kurzem von <strong>ein</strong>er lokalen<br />

Hotelkette betrieben. Die lässt die vergangenen<br />

Glorien wieder aufleben. Ziemlich viel schriller<br />

<strong>und</strong> bunter, dafür aber immer gut ausgebucht.<br />

Während der Militärdiktatur war das Hotel Teil der<br />

gigantischen Regierungsprojekte für den<br />

Amazonas. Hier übernachteten die Angestellten<br />

der SUDAM (Superintendência do Desenvolvimento<br />

da Amazônia, 1966 geschaffen <strong>und</strong> später<br />

wegen Korruption in Misskredit geraten). Solche<br />

Forschungsanstalten hatten bis in die Mitte der<br />

1980er Jahre hin<strong>ein</strong> das Ziel, mit ihren<br />

Forschungen den größtmöglichen Profit aus dem<br />

Regenwald zu ziehen. Man kann hier immer<br />

wieder Leute treffen, die diesen goldenen Zeiten<br />

nachtrauern.<br />

Die Hotellobby ist so groß, leer <strong>und</strong> kühl,<br />

Klimaanlage sei Dank, wie <strong>ein</strong> mittlerer<br />

europäischer Bahnhofwartesaal im Winter. In der<br />

Mitte führt <strong>ein</strong>e breite Treppe in <strong>ein</strong>e Art<br />

Zwischenstock. Durch die riesige Glasfront erblickt<br />

man den blaugekachelten Pool. Die immensen<br />

Zimmer, gar mit Balkon, entschädigen für die<br />

Distanz zur auch nicht gerade interessanten<br />

Stadt. Beim Frühstück, überschattet vom immer<br />

<strong>ein</strong>geschalteten, überdimensioniert rechteckigen<br />

Bildschirm, noch mehr reale Realitäten. Hier trifft<br />

man auf den ganzen gehobenen amazonischen<br />

Mikrokosmos: Da gibt es die lässig in Bermudas,<br />

Havaianas <strong>und</strong> ärmellose Hemden gekleideten<br />

jungen Männer, die alle obligatorischerweise<br />

schon zum Frühstück ihre Baseballmützen<br />

aufhaben. Sie kommunizieren mehr mit ihren<br />

Laptops als unter<strong>ein</strong>ander <strong>und</strong> bedienen sich<br />

großzügig von den kalten Pizzavierteln,<br />

übriggeblieben vom gestrigen Nachtessen. Sicher<br />

gehören sie zu den Angestellten irgendwelcher<br />

Bergbaufirmen. Hier im weiteren Umkreis<br />

werden Aluminium, Eisen, Gold <strong>und</strong> viele andere<br />

Mineralien abgebaut. Ständig wird nach neuen<br />

Abbauorte sondiert. Diese Aufgabe ist den schon<br />

etwas gestanderen, gewichtigeren, aber nur um<br />

Nuncen formeller gekleideten Geologen zugeordnet.<br />

Sie sind die Pioniere <strong>und</strong> ziehen den doch<br />

schon etwas angejahrten Kolonialstil ihrer<br />

Jugend den Bermudas vor. Man kann sie hier in<br />

den abgelegensten, hintersten Ecken des<br />

Amazonas antreffen.<br />

Die Spiegeleier sind, wie überall hier, beidseitig<br />

<strong>und</strong> gut durchgebraten. Tee? Man fülle <strong>ein</strong>fach<br />

<strong>ein</strong>e der Tassen da, sie tragen noch den goldenen<br />

Schriftzug des ehemaligen Regierungshotels, mit<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 400

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