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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Ihre Majestät<br />

Die Hochebene, flach wie <strong>ein</strong> Teller, bloß<br />

geschlagene Erde, helles, krümlig getrocknetes<br />

Braun, <strong>ein</strong> unendlich weites Feld, ist nur teilweise<br />

mit endlosen Reihen niederem Curuá, <strong>ein</strong>em<br />

Gewächs aus der Familie der Ananas, bepflanzt.<br />

Aus Curuáblättern werden die längsten <strong>und</strong><br />

stärksten Fasern gewonnen, die die Natur liefert.<br />

Wir befinden uns auf <strong>ein</strong>er Fazenda nahe<br />

Santarém. Die Hochebene endet weiter unten,<br />

stetig leicht abfallend, man kann die Ufer nur<br />

ahnen, im Fluss Tapajós, <strong>ein</strong> f<strong>ein</strong>bläulicher Strich<br />

am Horizont. Er fließt träge, s<strong>ein</strong> Blau um<br />

Nuancen dunkler als das Blau der unendlichen<br />

Himmel, Richtung Amazonas, mit dessen<br />

trübschlammigen Wassern er sich bald<br />

vermischen wird. Ein schnurgerader Weg<br />

durchschneidet das unter der brennenden<br />

Tropensonne endlos ausgebreitete Land. Er wird<br />

Zum Schluss, da, weit weg, von <strong>ein</strong>em Stück noch<br />

intakten Regenwaldes, kaum merklich erhobenes<br />

Grün, gestoppt. Man kann, weit weg, aber laut<br />

<strong>und</strong> konstant genug, pünktlich so gegen vier, halb<br />

fünf Uhr nachmittags, die gutturalen Schreie der<br />

Affen, es ist <strong>ein</strong>e Bande „Zogzogs“, hören. Man<br />

bekommt sie allerdings nie zu Gesicht, es bleibt<br />

bei den lärmig rauen Stimmen, die das Rudel vor<br />

dem Einnachten unter sehr viel Hallo<br />

zusammenrufen.<br />

Ihre Majestät erhebt sich, hoch <strong>und</strong> stolz<br />

aufgerichtet, <strong>ein</strong>e Einzelgängerin, purer<br />

Anachronismus, am Rand des Weges. Jeder kennt<br />

sie, m<strong>ein</strong>e Frage wird sogleich beantwortet: Es ist<br />

<strong>ein</strong>e Kastanie, <strong>ein</strong> Paranussbaum (Bertholletia<br />

excelsa). Sie ist auch in geschlossenen<br />

Urwaldgebieten <strong>ein</strong>e Einzelgängerin, ihr Stamm<br />

erreicht <strong>ein</strong>en Durchmesser von 1-2 m, aber es<br />

sollen Register von Bäumen geben, deren Umfang<br />

mehr als 5 m betrug. Paranussbäume gehören zu<br />

den höchsten Urwaldbäumen, erheben ihre<br />

großmächtigen Kuppeln weit über das Blattwerk<br />

aller Nachbarbäume. Werden bis zu<br />

atemberaubenden 50 Metern hoch – zu ihren<br />

Füßen bin ich nicht mehr als <strong>ein</strong>e Zwergin.<br />

Nicht unwahrsch<strong>ein</strong>lich, denn man nimmt an, dass<br />

<strong>ein</strong> Paranussbaum 500 oder mehr Jahre leben<br />

kann. Ihr hochgeschossener, mächtig-zilindriger<br />

Stamm mit der rissigen Borke verzweigt sich bald<br />

in üppige Äste. Ihr Holz ist begehrt, eigentlich<br />

bräunlich-rosa färbt es sich unter Licht<strong>ein</strong>fluss hell<br />

kastanienfarben. Daher auch der portugiesische<br />

Name, „Castanheira“. Hier auf der Hochebene<br />

braucht unsere Majestät den ewigen Kampf um<br />

Sonne <strong>und</strong> Nahrung nicht mehr zu kämpfen, sie<br />

steht all<strong>ein</strong>.<br />

Kastanienbäume sind ihrer ökonomischen<br />

Bedeutung wegen, noch <strong>ein</strong> Anachronismus, seit<br />

1994 durch staatliches Gesetz, vor dem Fällen<br />

geschützt. Ihre begehrten, nahrhaften Samen, sie<br />

gelten ihres hohen Eiweiß- <strong>und</strong> Fettgehaltes<br />

wegen als Teil der lokalen Gr<strong>und</strong>nahrung, werden<br />

in natura verspeist, aber auch gerne zusammen<br />

mit Farinha geröstet. Sie gelten, nach dem<br />

Kautschuk, als wichtigstes Exportgut. Allerdings<br />

sammelt man im bolivianischen Amazonas heute<br />

viel mehr davon; in Brasilien leiden die Bestände<br />

unter Übersammlung/Überernte. Die emsigen<br />

Kastaniensammler lassen zu wenige Samen zur<br />

Erneuerung übrig. Manche Bestände sind<br />

vergreist <strong>und</strong> leiden unter dem Klimawandel.<br />

Konzepte nachhaltiger Nutzung sind unbekannt<br />

oder ganz <strong>ein</strong>fach <strong>ein</strong>e Illusion. Seit 1930 werden<br />

die Kastanien im selben System wie der<br />

Kautschuk kommerzialisiert. Das heißt, dass <strong>ein</strong><br />

Heer Ribeirinhos <strong>und</strong> Caboclos die „Oriços“ die<br />

hölzernen, die <strong>ein</strong>zelnen Kastanien umhüllenden<br />

Kugeln im Regenwald zusammen liest, heraus<br />

buckelt <strong>und</strong> zu Sammelstellen bringt, wo die<br />

st<strong>ein</strong>harten Umhüllungen aufgeschlagen werden.<br />

Zwischenhändler, Teil <strong>ein</strong>es f<strong>ein</strong> verflochtenen<br />

kommerziellen Netzes, bei dem die Großhändler,<br />

die den Export dominieren, den Löwenanteil des<br />

Gewinns <strong>ein</strong>streichen, kaufen dann die<br />

Nussernten auf oder tauschen sie in <strong>ein</strong>er Art<br />

Kreditsystem gegen Lebensmittel <strong>und</strong> andere<br />

lebensnotwendige Artikel <strong>ein</strong> - <strong>ein</strong>e komplizierte,<br />

paternale Abhängigkeit.<br />

So ist unsere Majestät <strong>ein</strong>e Überlebende,<br />

zusammen mit drei oder vier anderen, künstlich<br />

mitten aus ihrem hochkomplexen Umfeld<br />

herausgehoben, heraus gefällt, herausgebrannt<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 146

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