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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Ein Platz an der Sonne<br />

Als mir die Ehre zuteilwird, gebe ich gerne zu,<br />

dass ich nun wirklich nicht so genau weiß, ob ich<br />

denn nun, oder nicht, starren nicht, aber diskret<br />

vielleicht schon, hinschauen dürfte, sollte. Mitten<br />

im armseligen, lokalen Supermarkt steht er,<br />

sozusagen Auge in Auge mit den Gestellen mit<br />

Eingebüchstem, als wirklicher, echter Indigener<br />

vor mir, der dekorativ in die Unterlippe<br />

<strong>ein</strong>gelassene, nicht gerade diskrete, flache Teller<br />

lässt k<strong>ein</strong>en Zweifel daran. Heute weiß ich, dass<br />

dieser Pflock ihn als Mitglied der Caiapós<br />

ausweist, so wie andere Stämme sich mit <strong>ein</strong>em<br />

Keil im Kinn schmücken oder mit vier Stöckchen,<br />

stilisierte Schnauzhaare, <strong>und</strong> sich damit als<br />

Jaguare nachschöpfen. Weiß auch, dass er s<strong>ein</strong>e<br />

Blößen nur hier in der Gesellschaft bedeckt.<br />

Hier im Norden Brasiliens sind die Indios mit ihren<br />

hohen Wangenknochen <strong>und</strong> den geschlitzten<br />

Augen, den flachen Nasen, breit <strong>und</strong> fleischig<br />

Nasenflügeln, dem pechschwarzen <strong>und</strong><br />

schnurgerade wie <strong>ein</strong> Wasserfall fallenden Haar<br />

<strong>und</strong> der olivfarbenen Haut klar in der Überzahl.<br />

Man begegnet ihnen überall. Leider ist ihnen ihre,<br />

von uns so hochstilisierte, Kultur irgendwo auf<br />

dem langen Weg abhandengekommen. Wie<br />

könnte es auch anders s<strong>ein</strong>. S<strong>ein</strong>e Codes, s<strong>ein</strong>e<br />

Verhaltensweisen, s<strong>ein</strong> Wissen haben im urbanen<br />

Kontext k<strong>ein</strong>en Wert, verlieren ihre Funktion.<br />

Werden, wenn überhaupt, noch in irgendwelchen<br />

Nischen praktiziert <strong>und</strong> werden bis heute hinter<br />

vorgehaltener Hand als minderwertig, rückständig<br />

<strong>und</strong> abergläubisch angesehen. Wer sie praktiziert,<br />

gehört tendenziell zur Unterschicht <strong>und</strong> ist schon<br />

damit abgestempelt <strong>und</strong> diskriminiert. Er ist zum<br />

Leben am Rande der Städte verbannt, in jenen<br />

Favelas, die hier aus Stelzen in die vielen Wasser<br />

hin<strong>ein</strong> gebaut werden. Auch dass die Indios<br />

pudelnackt herumlaufen, was Brasilianer nie tun<br />

würden, hilft nicht, sie uns anzunähern.<br />

Auch das Gegenteil passiert oft. Viele verbergen<br />

ihre kindliche Faszination nicht, bemitleiden die<br />

Indigenen oder verniedlichen ihre Bew<strong>und</strong>erung<br />

für alles was Indigen ist. Wie in <strong>ein</strong>em kulturellen<br />

Selbstbedienungsladen, meist von purem<br />

Unwissen genährt, bemächtigen sie sich<br />

bestimmter Rituale oder Weltansichten ohne sie in<br />

<strong>ein</strong>em größeren Zusammenhang zu sehen.<br />

Bezeichnen Sie deshalb k<strong>ein</strong>en, auch wenn ihm<br />

das Indioblut ins Gesicht geschrieben steht, als<br />

Indio! Indios leben, fast nackt, im Urwald, bemalen<br />

sich st<strong>und</strong>enlang den Körper <strong>und</strong> tanzen. Sie<br />

überlassen es ihren Frauen, Maniok zu pflanzen,<br />

während sie sich in endlosen „Nhanhanhas“,<br />

weitschweifigen Gesprächen, die zu nichts führen,<br />

verlieren oder sich in sinnlose Kriege verstricken,<br />

wenn sie nicht schon längst dem Alkohol oder der<br />

Prostitution verfallen sind. Hinter vorgehaltener<br />

Hand oder in Gesprächen auf Stammtisch oder<br />

Taxifahrerniveau werden sie gar als nicht viel mehr<br />

als Tiere bezeichnet.<br />

Auch lokale Intellektuelle, für mich ganz klar<br />

indianischer Abstammung, sch<strong>ein</strong>en blinde<br />

Spiegel zu haben. Dieselben Intellektuellen,<br />

denen man mit böser brasilianischer Zunge<br />

nachsagt, dass sie k<strong>ein</strong>e lieberen Studienobjekte<br />

hätten als Armut <strong>und</strong> Misere, sehen nicht die<br />

geringste Notwendigkeit, diese Facette ihres<br />

S<strong>ein</strong>s auch nur anzuerkennen. So bleibt den<br />

indigenen Völkern ihre komplizierte Nische<br />

vorbehalten, in der Anthropologen alle 10 Jahre<br />

ihre Ansichten wechseln, sich unter<strong>ein</strong>ander<br />

bef<strong>ein</strong>den, „ihre“ Indios retten wollen oder nicht,<br />

folkloristisch verbrämt, <strong>ein</strong> mystischer Halbschatten.<br />

Bew<strong>und</strong>ert/bedauert unterstehen sie, nicht von<br />

ungefähr, <strong>ein</strong>em Sonderstatus, haben mit der<br />

Funai <strong>ein</strong>e Art Tutor oder Fürsprech gegenüber<br />

dem/n restlichen Brasilien/Brasilianern <strong>und</strong><br />

besiedeln nicht immer respektierte Reservate,<br />

wenn sie sich nicht längst unter das Volk<br />

gemischt haben, denn der Frage der Rassenmischungen<br />

steht man seit der Kolonisierung<br />

opportunistisch gegenüber. Früher <strong>ein</strong>e<br />

willkommene Variante, <strong>ein</strong> Land zu kolonisieren,<br />

nicht von oben, aber von unten hatten weder die<br />

Portugiesen, noch die katholischen Padres, die<br />

ersten, die mit den Indios in Kontakt traten, viele<br />

Vorurteile oder Skrupel gegenüber den Indios<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 347

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