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Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

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Belém, im Auge des Tropensturms Geschichte - <strong>ein</strong> historischer Abriss<br />

Entlang der waagrechten Klinge, die messerscharf<br />

<strong>und</strong> ohne die geringste Erhebung das<br />

schlammtrübe Meer süßen, endlos weiten<br />

Wassers zerschneidet, erheben sich in der Ferne<br />

die Silhouetten <strong>und</strong> noch mehr Silhouetten<br />

monochromatischer, angegrauter Gebäude,<br />

funktionell, hässlich-modern. Noch <strong>ein</strong>e jener<br />

uniformen Städte, globalisiert <strong>und</strong> gesichtslos,<br />

gäbe es da nicht die Kirchen, der Verputz<br />

kalkweiß, die Fassaden barocke Scherenschnitte,<br />

stumme Zeugen <strong>und</strong> langsam wiederentdeckte<br />

Erinnerungen an die Kolonialzeit, dem Delta des<br />

Flusses, den unendlichen, schlammfarben<br />

Wassermassen zugewandt, auf dem die kurzstämmigen<br />

Boote im immerwährend feuchtfruchtbaren<br />

Klima vor sich hin dümpeln. Ich<br />

wette, dass sich die Formen der Schiffe mit dem<br />

flachliegenden Kiel <strong>und</strong> den ausholend r<strong>und</strong>en<br />

Formen seit Jahrh<strong>und</strong>erten nicht verändert<br />

haben. Sie erinnern mit ihren tief hängenden<br />

Dächern <strong>und</strong> den flachen Bäuchen, <strong>ein</strong>ige sind<br />

zwei oder mehrstöckig, eher an <strong>ein</strong> paar vor sich<br />

hin schlinkernde Sardinenbüchsen als an die<br />

wichtigsten Verkehrsmittel der Region. Die Flüsse<br />

sind hier die Straßen, das Schiff wird zum Bus<br />

oder Zug.<br />

Es sch<strong>ein</strong>t mir, als ob der Kontrast zwischen den<br />

Booten, jedes <strong>ein</strong>zelne Brett von der Hand <strong>ein</strong>es<br />

lokalen Bootsbauers zurechtgeschnitten, <strong>und</strong> dem<br />

anonymen Beton der konventionellen<br />

Hochhäuser genau den Widerspruch oder handelt<br />

es sich gar um Rückständigkeit? dieser Stadt<br />

ausdrückt, denn hier ist so vieles verwirrend<br />

kontrovers, gleichzeitig sehr modern <strong>und</strong> sehr<br />

traditionell/rückständig, sehr kosmopolitisch <strong>und</strong><br />

sehr hinterwäldlerisch. Ein Abbild Brasiliens mit<br />

noch extremeren Zügen, sozusagen amazonischen<br />

Dimensionen.<br />

Die Stadt Belém ist der älteste Zugang <strong>und</strong> bis<br />

heute das Tor zu der riesigen Region <strong>Amazonien</strong>s,<br />

des größten zusammenhängenden<br />

Tropenwaldgebietes, welches etwa fünf Prozent<br />

der gesamten Landfläche der Erde <strong>und</strong> über 40<br />

Prozent des brasilianischen Territoriums bedeckt.<br />

Ein sich fächerförmig ausbreitendes Flusssystem,<br />

durch welches 1/5 des Süßwassers der Welt fließt.<br />

Belém befindet sich damit in <strong>ein</strong>er<br />

Schlüsselposition, sozusagen im Auge des<br />

Hurrikans - fast alles, was mit dem Amazonas zu<br />

tun hat, beginnt <strong>und</strong> endet auf irgend<strong>ein</strong>e Art <strong>und</strong><br />

Weise im Hafen von Belém. Ein Hurrikan, der<br />

Abenteurer, Geschäftsleute, Wissenschaftler <strong>und</strong><br />

Künstler, aus der halben Welt durchgeblasen hat<br />

<strong>und</strong> noch immer durchbläst, jeder mit s<strong>ein</strong>em<br />

eignen Bild vom Garten Eden im Kopf, gekommen,<br />

um mit eigenen Augen zu sehen, neugierig <strong>und</strong><br />

wissensdurstig, früher gar bereit, s<strong>ein</strong>e Ges<strong>und</strong>heit<br />

oder gar das Leben aufs Spiel zu setzen. An s<strong>ein</strong>em<br />

Hafen dockten die globalsten, komplexesten<br />

Persönlichkeiten an, <strong>ein</strong>e illusterer <strong>und</strong><br />

globalisierter als die andere, alle auf der Suche<br />

nach ebendiesem Art Paradies, <strong>ein</strong>em realen<br />

oder verlorenen, so übermächtig <strong>und</strong> so<br />

be<strong>ein</strong>druckend, dass es für <strong>ein</strong>ige auch zur Hölle<br />

wurde: Padre Antônio Vieira, Jesuit, Berater des<br />

portugiesischen Königs, Diplomat <strong>und</strong> Poet,<br />

Francisco Xavier de Mendonça Furtado,<br />

Gouverneur <strong>und</strong> Capitão-General des Staates<br />

Grão Pará <strong>und</strong> Maranhão, Bruder des illusteren<br />

Marques de Pombal, portugiesischer<br />

Premierminister, aufgeklärter Erneuerer<br />

Portugals <strong>und</strong> s<strong>ein</strong>er Kolonien, erklärter F<strong>ein</strong>d<br />

der Jesuiten. Die Deutschen Carl Friedrich<br />

Philipp von Martius <strong>und</strong> Johan Babtist Ritter<br />

von Spix, zwei große deutsche Naturforscher<br />

<strong>und</strong> Ethnologen, Euclides de Cunha, Ingenieur<br />

<strong>und</strong> Poet, hergeschickt vom Diplomaten Barão<br />

do Rio Branco, um die Grenze mit Peru zu<br />

ber<strong>ein</strong>igen <strong>und</strong> <strong>ein</strong>en nie beendeten Klassiker<br />

über den Amazonas zu schreiben, Parcefal<br />

Farquear, nordamerikanischer Unternehmer aus<br />

der Energie- <strong>und</strong> Verkehrsbranche, Cândido<br />

Mariano da Silva Rondon, Bezwinger <strong>ein</strong>es<br />

unbekannten Sertãos (Hinterlandes) <strong>und</strong> des<br />

teuflisch-tödlichen amazonischen Regenwaldes,<br />

durch den er die erste Telegrafenleitung<br />

verlegte. Viele Begegnungen mit den<br />

unterschiedlichsten Indiostämmen machten ihn<br />

später zu deren paternalistischem Beschützer.<br />

Einer der neueren Amazonasstaaten, Rondônia,<br />

ist nach ihm benannt. Theodore Roosevelt,<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 556

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