Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Art-Cabocla
Sie sind, wie so vieles hier, vergänglich, dekorativ,
Gebrauchskunst. „Arte cabocla“, echte
Volkskunst, bunt, grellbunt, populär im weitesten
und engsten Sinne, modern als „Graffitis“
bezeichnet ließe sich aber auch als Art-brut oder
Naive Kunst einordnen. Hätten gar ein Museum
verdient! Als Gebrauchskunst schmücken sie
Mauern, zieren den Festplatz genauso wie die
Korridore eines Hotels oder funktionieren als
Hintergrund für eine Ladentheke. Sie sind zugleich
Augenschmaus, Hingucker, Verkaufshilfsmittel
und Komunikation.
Einen ganzen Zoo treffe ich, nomen est omen,
rund um die Baracke der einfachen Parkbar. Der
übergroße, leucht-blau-gelbe Papagei, eine
„Arara“, sitzt still und etwas dicklich auf einem
dürren Ast, ist im Profil dargestellt, hat ihr Auge
genau jenen abwägenden, analytischen
Papageienblick. Auch das „Bem.te.v“i-Kücken,
vom Maler genauso mit Punkt geschrieben, ist
sehr gut getroffen, scheint aber noch etwas
erschrocken, vielleicht erst kürzlich flügge
geworden. Großes Geschick und eine klare Idee
von Perspektive verrät der naive Maler beim
Zeichnen der Krallen. Er scheint den Vogel in der
Natur sehr gut beobachtet zu haben. Mein
absoluter Favorit ist aber der fliegende Panther,
verzeihen Sie mir den Übernamen, aber er ist ein
Meisterstück naiver Malerei. Genau auf der
Grenze zwischen Kopie und Eigenschöpfung
scheint meine Katze mitten in einem
wahnwitzigen Flug/Sprung erstarrt, scheint Flügel
zu haben, schwebt reglos über einem dunkelorangen
in den Flammen eines tropischen
Abendrotes stehenden Himmels. Ob sie das denn
nur in der Fantasie des Porträtisten kann oder
auch im Volksglauben? Für mich hat er sozusagen
ihren Mythos nachkreiert.
Je nach Professionalität und Kunstfertigkeit des
Ausführenden präsentieren sie sich als naive
Pinselei mit unverfälschter Bildsprache, voller
Details und manchmal ungeschliffen in den
Proportionen, können aber auch zum kompliziert
kommerziellen Airbrush ausreifen. Statt der
Wünsche und Träumer der Autoren bilden sie oft
das Universum des Käufers ab, nicht von ungefähr
gibt es überall Delphine und Panter, die berühmt
berüchtigten „Onças“. Auch landschaftliche
Allegorien sind beliebt oder Darstellungen der
Lebensweise imaginärer indigener Vorfahren und
ihrer tagtäglichen Verrichtungen.
Amazonische Varianten der Hinterlandidyllen oder
des röhrenden Hirsches.
letzten
Amazonien, ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata 542