18.05.2018 Aufrufe

Amazonien - ein Foto- und Lesebuch - Susanne Gerber-Barata

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

Foto- und Lesebuch über den brasilianischen Amazonas

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Alenquer, die “Gabs-hier-schon-mal-Stadt“<br />

Wir lassen uns nicht abschrecken. Treten <strong>ein</strong>. Der<br />

Durst ist stärker. Der Gastraum erinnert eher an<br />

<strong>ein</strong>e Garage. In der hinteren Hälfte hängt riesig<br />

<strong>und</strong> etwas streng riechend <strong>ein</strong> <strong>ein</strong>gesalzener<br />

Pirarucu zum Trockenen aus. Gegen die<br />

festgezurrten, abwaschbaren Plastiktischtüchern<br />

auf wacklige Plastiktischen geklebt, die durch die<br />

verkehrt herum aufgetischten, transparenten<br />

Glasteller durchsch<strong>ein</strong>en, sind wir aber schon<br />

immun. Folgen der Empfehlung der<br />

Hotelbesitzerin. Touristen verirren sich kaum<br />

hierher.<br />

Der Kellner, er bemüht sich sichtlich, lost uns in<br />

den zubetonierten Hinterhof. Die brusthohen<br />

Wände sind alle mit Werbung beschriftet. Aber<br />

der Schatten des Mangobaumes <strong>und</strong> <strong>ein</strong> paar<br />

Tische laden <strong>ein</strong>. Lerne so, sozusagen am eigenen<br />

Magen, in der Praxis, sie dauert zwar nur <strong>ein</strong><br />

Wochenende lang, was es heißt, im hintersten<br />

Hinterland des Amazonas zu leben. –“N<strong>ein</strong>, mit<br />

Kohlensäure haben wir leider nicht, nur<br />

Mineralwasser ohne.“ – „Bier?“ – „Ja, aber nur in<br />

Dosen <strong>und</strong> nur <strong>ein</strong>e Marke.“ - „Ja, die<br />

Tomatensoße, die den w<strong>und</strong>erbaren Fisch,<br />

diesmal frischesten „Pirarucú“, begleite, sei<br />

Pomerola, industrialisierte Tomatensoße, aus der<br />

Tube, aber er könne mal sehen, ob man sie<br />

<strong>ein</strong>fach weglassen könne.“ –<br />

Dabei ist Alenquer doch immer noch <strong>ein</strong>e<br />

ansehnliche Stadt. Hat zwei, drei <strong>ein</strong>fache Hotels,<br />

<strong>ein</strong>e Bäckerei, zwei, drei Eisdielen, <strong>ein</strong> Restaurant<br />

<strong>und</strong> verschiedenen Bars. Unser Hotel hat zwar nur<br />

fließend kaltes Wasser, aber <strong>ein</strong>e laut dröhnende<br />

Klimaanlage, bitter nötig, <strong>und</strong> drei der Gratisfernsehkanäle<br />

aus dem fernen Rio de Janeiro. Es<br />

gehört, wie die meisten Geschäftsbetriebe hier,<br />

<strong>ein</strong>er Frau. Die Männer sind wohl alle aufgebrochen,<br />

den besseren Arbeitsplätzen nach.<br />

Touristenattraktionen? Es soll hier in der Nähe<br />

<strong>ein</strong>en Wasserfall geben. Aber wir bew<strong>und</strong>ern ihn<br />

nur auf <strong>ein</strong>er etwas verblichenen Wandmalerei.<br />

Schaffen es aber bis zu <strong>ein</strong>er Art Aussichtspunkt,<br />

<strong>ein</strong>e steile Treppe, oben <strong>ein</strong> schmuckloses<br />

Betonkreuz, zu dessen Füßen viele Kinder ganz<br />

ohne elterliche Aufsicht spielen. Nur die fünf<br />

himmelstrebenden Funktürme, Fernsehen,<br />

Internet <strong>und</strong> Handys wollen empfangen werden,<br />

überragen ihn noch. Einer ist sicher auch für das<br />

lokale Radio. Das hören hier alle. Auch der<br />

Musikgeschmack ist pasteurisiert, beschränkt sich<br />

auf die selbe schrill-laute, ziemlich ordinäre Musik,<br />

von Bands mit noch ordinäreren Namen gespielt.<br />

Das Radio überträgt sie bis in den letzten<br />

Hinterhof.<br />

Die Hinterhöfe allerdings sind <strong>ein</strong>e Attraktion für<br />

sich. Eine wilde Mischung aus verwildertem Nutz<strong>und</strong><br />

Obstgarten <strong>und</strong> Hühnerhof. Auf dem sandigen<br />

Boden mischen sich unter die heruntergefallenen<br />

Kokosnüsse Abfällen <strong>und</strong> trockene Palmwedel,<br />

vergammelnde Mangos. Die frei laufenden<br />

Haushühner bilden friedliche Familien inklusive<br />

Küken <strong>und</strong> stolzen Hähnen. Letztere krähen wohl<br />

alle zehn Minuten, auch zu nachtschlafener Zeit.<br />

Dazwischen wackeln auf kurzen B<strong>ein</strong>en <strong>ein</strong> paar<br />

zukünftige Festtagsbraten, schwarze oder<br />

gesprenkelte Enten herum. Das Geflügel teilt sich<br />

ihr Futter schwesterlich mit <strong>ein</strong> paar<br />

flügelschwingenden, stumpfschwarzen<br />

Aasgeiern. Der <strong>ein</strong>zige Unterschied? Letztere<br />

landen nicht in der Pfanne.<br />

Da ist es wieder. Jenes typische Neben<strong>ein</strong>ander<br />

von rückständigster Rückständigkeit <strong>und</strong><br />

fortschrittlichstem Fortschritt. Einer zufällig<br />

aufgeschnappten Konversation entnehme ich,<br />

dass man hier auch puncto Ges<strong>und</strong>heitsvorsorge<br />

auf dem Laufenden ist. Zwei Damen diskutieren<br />

ihren, natürlich immer zu hohen, Cholesterinspiegel.<br />

Als wir <strong>ein</strong> Taxi wollen, greift das<br />

Zimmermädchen, das soeben den Patio flutet, in<br />

die Tasche ihrer knappen Shorts <strong>und</strong> zückt ihr<br />

Handy, wählt, <strong>und</strong> das Taxi ist Minuten später zur<br />

Stelle.<br />

Die lauschige Seite des Hinterlandes manifestiert<br />

sich, als die Sonne hinter den Horizont fällt.<br />

Jedermann zieht den wackligen Klappstuhl oder<br />

gar den Sessel aufs Straßenpflaster <strong>und</strong> setzt sich<br />

in Latschen <strong>und</strong> leichtester Kleidung gemütlich<br />

<strong>Amazonien</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Foto</strong>- <strong>und</strong> <strong>Lesebuch</strong> - <strong>Susanne</strong> <strong>Gerber</strong>-<strong>Barata</strong> 925

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!